Die Zahl der selbstständigen Steuerberater sinkt seit einigen Jahren kontinuierlich. Damit steht die Steuerberatungsbranche nicht allein: Auch branchenunabhängig wächst die sozialversicherungspflichtige, abhängige Beschäftigung, während weniger Menschen selbstständig tätig sind. Warum das so ist und welche Rolle dies für Gründerinnen und Gründer in der Steuerberatungsbranche spielt, zeigt dieser Artikel.
Die Quote der selbstständigen Steuerberaterinnen und Steuerberater ist kontinuierlich leicht rückläufig und lag am Stichtag 1.1.2020, dem letzten für den die Berufsstatistik aktuell vorliegt, laut Bundessteuerberaterkammer bei 68,6 Prozent. Ein Jahr zuvor hatte der Anteil noch bei 69,2 Prozent gelegen. Branchenunabhängig lässt sich für Deutschland feststellen, dass die Zahl der Selbstständigen quer über alle Branchen hinweg seit der Vereinigung kontinuierlich angestiegen war und laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2012 mit 4,3 Millionen Personen einen Höchststand erreicht hatte. Die bis dahin vor allem von den Solo-Selbstständigen getragene Entwicklung ist seitdem nunmehr kontinuierlich rückläufig.
Nach den Ergebnissen der Arbeitskräfteerhebung zeigte sich zuletzt im Vergleich zu den abhängig Beschäftigten sogar eine gegenläufige Entwicklung: "Zwischen 2012 und 2017 ist die Zahl der abhängig Beschäftigten um 7,9 Prozent gestiegen, die der Selbstständigen um 5,1 Prozent gesunken", berichten Lisa Günther und Katharina Marder-Puch in einer Analyse für das Statistische Bundesamt. 2020 waren in Deutschland 3,7 Millionen Menschen selbstständig tätig, 1,6 Millionen davon mit und 1,9 Millionen ohne Beschäftigte.
Deshalb gibt es weniger Neugründungen
Die Gründe für den Rückgang seien vielfältig, schreiben die Autorinnen. Vermutlich spiele der boomende Arbeitsmarkt, der nahezu allen Personen mit Erwerbspotenzial Arbeit böte, eine sehr große Rolle. Durch die Verschiebungen auf dem gesamten Arbeitsmarkt habe sich auch die Struktur der Selbstständigen verändert.
Die häufigste Motivation für eine Gründung erfragte umgekehrt der Global Entrepreneurship Monitor der Leibniz-Universität Hannover: Danach gaben 2020 rund 62 Prozent aller Gründerinnen und Gründer an, eine Familientradition weiterführen zu wollen. Besonders für Gründende mit Einwanderungsgeschichte seien indes öfter außerökonomische Gründungsmotive ausschlaggebend: Sie gründeten häufiger, „um die Welt zu verändern“ als Personen ohne Einwanderungsgeschichte.
Kanzleigründungen sind immer eine Herausforderung, doch es gibt genügend gute Gründe, es trotzdem zu wagen, wie die Geschichte von Steuerberaterinnen Maike Karstens und Sabrina Knoll zeigt. Lesen Sie hier die Gründerstory.
Positivtrend bei den Freien Berufen
Erstaunlicherweise gibt es nun eine dem Anti-Selbstständigentrend entgegengesetzte Statistik des Instituts für Freie Berufe in Nürnberg, die nahelegt, dass für Freiberufler offenbar andere Trends gelten: So verzeichnet das Institut einen kontinuierlichen Zuwachs an Selbstständigen in den Freien Berufen auf zuletzt 1,459 Millionen - der sich allerdings nicht beim steuerberatenden Beruf widerspiegelt.
Weshalb ist das so? Die Bundessteuerberaterkammer liefert vielleicht einen Erklärungsansatz dafür, weshalb der steuerberatende Beruf hier ausschert. So berichtet Celina Kalina-Kerschbaum, BStBK-Geschäftsführerin: "Vor dem Hintergrund der zunehmenden bürokratischen Herausforderungen im Bereich der Steuerberatung - also etwa DSGVO, Geldwäsche oder Meldepflichten - scheuen einige Kolleginnen und Kollegen den Gang in die Selbständigkeit und favorisieren stattdessen die Angestelltentätigkeit".
Die freiwillig Verzichtenden bemängelten, dass vor lauter Berichtspflichten kaum noch Zeit für die eigentliche Beratungstätigkeit bleibe. Die BStBK-Geschäftsführerin betont:
Wir beobachten diesen Trend kritisch und setzen uns dafür ein, dass auch das Modell der Einzelkanzlei nicht an Attraktivität einbüßt. Denn als Freier Beruf soll auch die Steuerberatung alle Facetten der Berufstätigkeit behalten.
Bürokratie als Gründungshindernis?
Ob tatsächlich die zunehmende Bürokratie der entscheidende Hemmschuh für den Gang in die Selbstständigkeit im steuerberatenden Beruf ist, lässt sich mit Fakten nicht klar belegen. Generell haben Steuerberaterinnen und Steuerberater, die sich selbstständig machen wollen, nicht nur die Möglichkeit der klassischen Neugründung auf der sprichwörtlichen Grünen Wiese, die in der Regel eine Bürogemeinschaft ist, sondern auch die der Partnerschaft in einer bestehenden Kanzlei.
Als Königsweg für die Selbstständigkeit im steuerberatenden Beruf gilt nach wie vor das Modell der vorgeschalteten Angestelltentätigkeit mit Partnerschafts- oder Übernahmeoption: Nach Ablauf einer von Beginn an definierten Zeitspanne erwirbt der angehende Selbstständige einen Anteil an der Kanzlei, beispielsweise 30 Prozent, wird Partnerin oder Partner. Oftmals geschieht dies bereits wiederum mit der Perspektive einer vollständigen Übernahme, wenn der angestammte Partner oder die Partnerin aus Altersgründen ausscheidet.
Möglich und praktiziert ist auch die vollständige Übernahme einer Kanzlei von Anfang an - mit oder ohne vorgeschaltetem Angestelltenverhältnis. Dieser Sprung ins kalte Wasser gelingt umso besser, je stärker sich der Veräußerer in der Übertragung der Mandate engagiert. Professionelle Übertragungsverträge sehen daher eine sogenannte überleitende Tätigkeit des ausscheidenden Beraters als Verpflichtung und Bestandteil des Kaufpreises vor. Die Akquirierung einer passenden Kanzlei geschieht entweder in Eigenregie über einschlägige Plattformen oder mithilfe professioneller Makler.
Steuerberater Andreas Pfister übernahm vor knapp einem Jahr den Mehrheitsanteil an einer bestehenden Steuerberatungsgesellschaft mit 15 Mitarbeitenden. Jetzt blickt der 36-Jährige auf ein Jahr Selbstständigkeit zurück und erzählt im Interview, wie herausfordernd eine Übernahme ist.
Banken zeigen sich zuversichtlich
Die Erfahrungen von Steuerberaterinnen und Steuerberatern, die bestehende Kanzleien übernommen haben, zeigen eindeutig, dass zumindest die Kreditinstitute nicht damit rechnen, dass die Steuerberatungsbranche auch in Gestalt der Einzelkanzlei in Zukunft zu einer Branche mit nennenswertem Ausfallrisiko mutieren könnte, im Gegenteil. Steuerkanzleien gelten in der Bankenwelt offenbar als äußerst solide Unternehmen, deren Finanzierung in der Regel bereitwillig übernommen wird, obschon häufig eine hohe Fremdfinanzierungsquote vorliegt. Denn viele Käuferinnen und Käufer sind jung, haben noch keine großen Eigenkapitalsummen, die sie einbringen könnten.
Der Finanzbedarf ist im Übrigen auch bei einer Neugründung nicht zu unterschätzen, da von Beginn an der eigene Lebensunterhalt gesichert werden muss, ohne zugleich bereits auf laufende Honorarflüsse bauen zu können. Insofern schätzen manche Neu-Gründerinnen und Gründer ihr finanzielles Risiko höher ein als Beraterinnen und Berater, die sich in bestehende Kanzleien einkaufen oder diese vollständig übernehmen.
Bin ich ein Gründertyp?
Letztlich ist die Frage "Selbstständig oder nicht?" zuallererst eine der Persönlichkeit - denn die eigene Kanzlei bietet sowohl größere Chancen als auch Risiken. Vor allem im Hinblick auf Freizeit, Urlaub und einen „freien Kopf“ erfordert der Gang in die Selbstständigkeit zumindest zu Beginn eine ganze Reihe von Kompromissen. Umgekehrt können auch der Chef, die Teamleiterin oder die lieben Kollegen ein Feld sein, das eine hohe persönliche Anpassungsleistung erfordert.
Umgekehrt gilt, dass die Selbstständigkeit im steuerberatenden Beruf in der Regel immer noch ein höheres Einkommen verspricht, als dies in der Anstellung zu erzielen wäre und eine andere Ebene von gestalterischen Freiräumen und persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet. Wer angestellt bleibt, hat dafür ein Stück mehr Unterstützung und Einbettung, in den meisten Fällen auch Sicherheit. Schön an all diesen Überlegungen ist, dass Steuerberaterinnen und Steuerberater einen Beruf gewählt haben, der in allen Ausübungsformen genügend Zukunftspotenzial bereithält.