vorläufig nicht rechtskräftig

Revision zugelassen durch das FG

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Dem Steuerpflichtigen steht grundsätzlich ein Anspruch auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren zu – Die DSGVO findet auch auf direkte Steuern Anwendung. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: IX R 21/22)

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. dem Prozessgrundrecht gemäß Art. 19 Abs. 4 GG und dem nunmehr in Art. 41 II lit. a der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) ausdrücklich verankerten Recht auf Gehör folgt grundsätzlich ein Akteneinsichtsrecht, welches die Finanzbehörde mit dem Schutz Dritter und ihrem Ermittlungsinteresse sowie ihrem Verwaltungsaufwand abzuwägen hat.
  2. Die Bestandskraft des Steuerbescheides steht dem Akteneinsichtsrecht hierbei nicht grundsätzlich entgegen.
  3. Die DSGVO ist im Bereich der Steuerverwaltung auch bei der Verwaltung der direkten Steuern anwendbar.
  4. Dem Steuerpflichtigen steht ein Anspruch auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO zu. Die konkrete Ausgestaltung liegt im Ermessen der Finanzbehörde.
  5. Die Gewährung von Akteneinsicht kann sich als die zweckmäßigste Form der Auskunftserteilung erweisen.
 

Normenkette

EUV 2016/679 Art. 15; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3

 

Streitjahr(e)

2015

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die Kläger einen Anspruch auf Akteneinsicht in die für sie beim Beklagten für das Jahr 2015 geführte Einkommensteuerakte und ob sie insoweit einen Anspruch auf Auskunftserteilung nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) haben.

Die Einkommensteuererklärung 2015 wurde von der Steuerberatung X (früherer Steuerberater) für die Kläger eingereicht. Der Bescheid wurde an den früheren Steuerberater bekanntgegeben und ist bestandskräftig.

Mit Schriftsatz vom 10. April 2018 beantragten die Kläger bei dem Beklagten Akteneinsicht in ihre Einkommensteuerakte. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 4. Mai 2018 ab. Den Einspruch der Kläger hiergegen wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2018 als unbegründet zurück.

Die Abgabenordnung (AO) enthalte, anders als andere Verfahrensordnungen wie z.B. § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) und § 147 der Strafprozessordnung (StPO), für welche das Verwaltungsverfahren einen Anspruch auf Gewährung von Einsicht in die Verfahrens- und Ermittlungsakten vorsehe, keine derartige Regelung im steuerlichen Verwaltungsverfahren. Ein solches Einsichtsrecht sei weder aus § 91 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) und dem hierzu ergangenen AO-Anwendungserlass (AEAO) der Verwaltung Nr. 4 noch aus § 364 AO und dem dazu ergangenen AEAO abzuleiten. Der Steuerpflichtige habe jedoch ein Recht darauf, dass die Finanzbehörde über seinen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht während eines Verwaltungsverfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen entscheide.

Der Steuerpflichtige müsse im Rahmen seines Antrags auf Akteneinsicht sein berechtigtes Interesse darlegen, wobei sein Gesuch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gegenstand des steuerlichen Verfahrens stehen müsse.

Ein berechtigtes Interesse könne bei einem Beraterwechsel vorliegen, soweit nur im Wege der Akteneinsicht Besteuerungsvorgänge nachvollzogen oder durch Fotokopie wichtiger Unterlagen die Grundlagen für die Erfüllung steuerlicher Mitwirkungspflichten erfüllt werden könnten.

Vorliegend sei der frühere Steuerberater für die Einkommensteuerveranlagung 2015 einschließlich der Entgegennahme der Bescheiderteilung bevollmächtigt gewesen. Für die Änderungen der Höhe des Gewinns hinsichtlich der selbständigen Tätigkeit der Ehefrau im Vergleich zum erklärten Gewinn sei dem damaligen Bevollmächtigten zuvor rechtliches Gehör gewährt worden, was auch den Klägern gegenüber wirke. Die diesbezüglichen Abweichungen seien im Erläuterungsteil des Einkommensteuerbescheides 2015 dem Grunde und der Höhe nach derart detailliert dargelegt, dass dieser Besteuerungsvorgang bereits aus dem Erläuterungsteil nachvollzogen werden könne. Einer Akteneinsichtnahme bedürfe es insoweit nicht.

Des Weiteren könne aufgrund der Tatsache, dass der Prozessbevollmächtigte nur für das Einkommensteuerverfahren 2015 von den Klägern bevollmächtigt worden und dies zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, in welchem bereits Bestandskraft hinsichtlich des Einkommensteuerbescheides 2015 vom 19. Februar 2018 eingetreten gewesen sei und eine andere Steuerberaterin als der Prozessbevollmächtigte zur Erstellung der Einkommensteuererklärung 2016 seitens der Kläger beauftragt worden sei, nicht davon ausgegangen werden, dass der Antrag auf Akteneinsichtnahme in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gegenstand des steuerlichen Verfahrens gestellt worden sei, um einen Besteuerungsvorgang nachvollziehen zu können. Ansonsten hätte der Prozessbevollmächtigte zur Erstellung der Einkommensteuererklärung 2016 seitens der Kläger beauftragt werden müssen, um durch die begehrte Akteneinsichtnahme gegebenenfalls Rückschlüsse aus den gekürzten Betriebsausgaben des Jahres 2015 für Folgejahre zieh...

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