Kein Antrag auf mündliche Verhandlung

Das dem Revisionsverfahren beigetretene BMF ist nicht zur Stellung eines Antrags auf mündliche Verhandlung gegen einen Gerichtsbescheid berechtigt.

Hintergrund

In der Sache war streitig, ob eine KG Absetzungen für Substanzverringerung bei Übertragung eines Kiesvorkommens durch einen Kommanditisten vornehmen kann. Der Senat hat die Revision der KG mit Gerichtsbescheid (vom 29.7.2015, IV R 15/14) zurückgewiesen. Im Hinblick auf die in diesem Gerichtsbescheid entschiedene Abweichung von einem BMF-Schreiben (vom 11.7.2011, BStBl I 2011, 713) übersandte der BFH einen Abdruck des Gerichtsbescheids auch dem BMF zur Kenntnis.

Das BMF erklärte daraufhin seinen Beitritt zum Revisionsverfahren und beantragte mündliche Verhandlung. Es vertritt die Auffassung, das BMF müsse zur Wahrung des auch dem BMF zustehenden Rechts auf Gehör die Möglichkeit haben, die Beteiligtenstellung auch noch nach Ergehen eines Gerichtsbescheids zu erlangen.

Entscheidung

Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil, wenn nicht innerhalb eines Monats mündliche Verhandlung beantragt wird. Auch im Revisionsverfahren können die Beteiligten innerhalb der Monatsfrist nach Zustellung des Gerichtsbescheids mündliche Verhandlung beantragen (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO).  Beteiligter im Revisionsverfahren ist grundsätzlich nur, wer am Klageverfahren beteiligt war. Zusätzlich kann im Revisionsverfahren das BMF einem Verfahren beitreten, wenn Bundesrecht betroffen ist. Mit dem Beitritt erhält das BMF die Rechtsstellung eines Beteiligten (§ 122 Abs. 2 Satz 4 FGO).

Die Beteiligtenstellung des BMF berechtigt allerdings nicht dazu, über das Verfahren zu disponieren. Die Dispositionsbefugnis über das Verfahren steht nur den ursprünglichen Verfahrensbeteiligten zu, hier also der KG als Klägerin und dem FA als Beklagten. Die verfahrensrechtliche Gleichbehandlung des beigetretenen BMF erschöpft sich darin, innerhalb der von den Hauptbeteiligten einvernehmlich vorgegebenen Rahmenbedingungen wie Revisionskläger oder Revisionsbeklagter behandelt zu werden. Das BMF hat aber keine Möglichkeit, ein Verfahren gegen den Willen des Hauptbeteiligten fortzusetzen oder zu verlängern. Nur diese bestimmen über den Beginn und das Ende des Prozessrechtsverhältnisses.

Dementsprechend kann der BFH mit Einverständnis der Hauptbeteiligten auch dann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, wenn das dem Verfahren beigetretene BMF auf mündliche Verhandlung nicht verzichtet hat. Ebenso kommt es beim Wegfall der Rechtshängigkeit durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten nicht darauf an, ob auch das beigetretene BMF eine Erledigungserklärung abgegeben hat.

Das Gleiche gilt für die Frage, ob das BMF - unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt es dem Verfahren beigetreten ist - nach Ergehen eines Gerichtsbescheids zur Stellung eines Antrags auf mündliche Verhandlung berechtigt ist. Auch hier bleibt es bei dem Grundsatz, dass allein die Hauptbeteiligten über den Beginn und das Ende des Prozessrechtsverhältnisses bestimmen. Das BMF hat demnach keine Möglichkeit, ein Verfahren gegen den Willen der Hauptbeteiligten fortzusetzen oder zu verlängern. Dies gilt auch dann, wenn - wie im Streitfall - das FA obsiegt hat, da die Revision der KG zurückgewiesen wurde, und das BMF daher keine Möglichkeit hat, das FA zur Stellung eines zulässigen Antrags auf mündliche Verhandlung zu veranlassen, selbst wenn dies dazu führt, dass ein Gerichtsbescheid als Urteil wirkt und der BFH darin von einem BMF-Schreiben abweicht.

Hinweis

Der Zweck des Verfahrensbeitritts ist es, dem BMF zu ermöglichen, sich jederzeit in ein anhängiges Revisionsverfahren einzuschalten und entscheidungserhebliche rechtliche Gesichtspunkte vorzutragen. Das BMF kann damit über den Einzelfall hinausgehende die allgemeine Besteuerung betreffende Gesichtspunkte vortragen. Über den Beitritt entscheidet allein das BMF. Gleichwohl kann der BFH einen Beitritt anregen oder das BMF ausdrücklich zum Beitritt auffordern. Es bleibt jedoch dabei, dass nur die Hauptbeteiligten über den Beginn oder das Ende des Prozesses bestimmen.

Das BMF kann allerdings jederzeit von seinem Weisungsrecht Gebrauch machen und das FA anweisen, einen bestimmten Antrag zu stellen. Es kann daher die Weisung erteilen, gegen einen Gerichtsbescheid mündliche Verhandlung zu beantragen und auf diese Weise einen Gerichtsbescheid kippen mit der Folge, dass das Revisionsverfahren fortgesetzt wird.

Im Streitfall war dem BMF diese Möglichkeit jedoch verwehrt. Denn dem Antrag des FA, die Revision zurückzuweisen, hatte der BFH in dem Gerichtsbescheid entsprochen. Das FA hat somit im Revisionsverfahren voll obsiegt und ist durch den Gerichtsbescheid nicht beschwert. Mangels einer Beschwer wäre daher ein Antrag des FA auf mündliche Verhandlung unzulässig. Lediglich der unterlegene Kläger - hier die KG - könnte einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen. Macht er jedoch davon keinen Gebrauch und akzeptiert dadurch den Gerichtsbescheid, kann das BMF (auch über sein Weisungsrecht) keine mündliche Verhandlung erreichen. 

Weicht der BFH - wie im Streitfall - in einem Gerichtsbescheid von einem BMF-Schreiben ab, hat das BMF regelmäßig ein Interesse daran, durch Stellung eines Antrags auf mündliche Verhandlung das Verfahren fortzusetzen, um zu der Rechtsfrage aus seiner Sicht Stellung zu nehmen. Die Anweisung an das FA, den entsprechenden Antrag zu stellen, führt jedoch nur dann zum Ziel, wenn das FA (mindestens zu einem Teil) unterlegen ist. Fehlt es - wie im Streitfall - daran, reicht allein das Interesse des BMF an einer Stellungnahme nicht aus, den Hauptbeteiligten die Fortsetzung des Verfahrens aufzuzwingen.

BFH, Beschluss v. 16.12.2015, IV R 15/14, veröffentlicht am 3.2.2016

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