BFH Kommentierung: Kosten einer Entschädigungsklage

Entscheidet sich ein Entschädigungskläger unmittelbar zur Klageerhebung, trägt er das Risiko, die Kosten des Entschädigungsverfahrens tragen zu müssen, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt.

Hintergrund: Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer

Die Klägerin erhob im Juli 2012 Klage beim FG. Wegen Änderung in der Geschäftsverteilung und der personellen Besetzung des Senats kam es zu einer Verfahrensverzögerung, die erst im Dezember 2015 mit der Ankündigung eines Termins zur mündlichen Verhandlung endete. Die Klägerin hatte drei Verzögerungsrügen erhoben. Im April 2016 wurde das Verfahren durch wechselseitige Erledigungserklärung beendet.

Anschließend erhob die Klägerin beim BFH Entschädigungsklage gegen das Bundesland wegen überlanger Verfahrensdauer nach § 155 FGO i.V.m. § 198 GVG. Das FG hätte gut 2 Jahre nach der Klageerhebung vom Juli 2012, also im August 2014, mit der Bearbeitung beginnen müssen. Tatsächlich sei dies aber erst mit der Terminankündigung im Dezember 2015 geschehen. Damit ergebe sich eine Verzögerung von 16 Monaten. Die Entschädigung betrage nach § 155 FGO i.V.m. § 198 Abs. 2 GVG 100 EUR pro Monat, somit insgesamt 1.600 EUR. Im September 2016 anerkannte das Land den Anspruch nur in Höhe von 1.000 EUR. Es hielt die beiden in 2013 erhobenen Verzögerungsrügen für verfrüht, da bei ihrer Erhebung (6- bzw. 13-monatige Verfahrensdauer) noch nicht die Befürchtung einer Verfahrensverzögerung bestanden habe. Die im Juli 2015 erhobene dritte Rüge könne indes nur für 6 Monate, also bis Januar 2015, zurückwirken. Deshalb sei der Entschädigungsanspruch lediglich für die Zeit vom Januar 2015 bis zur Terminankündigung im Dezember 2015 (10 volle Monate) begründet.

Entscheidung: Maximale Verfahrensdauer von zwei Jahren zwischen Klageeingang und zielgerichteter Fallbearbeitung

Der BFH gab der Klage in dem noch streitigen Umfang von 600 EUR statt. Der BFH verweist auf das Grundsatzurteil v. 7.11.2013, X K 13/12 (BFH/NV 2014, 259). Danach gilt im Regelfall die Vermutung, dass die Verfahrensdauer angemessen ist, wenn das FG "gut 2 Jahre" nach Klageeingang mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen. Das FG hätte somit ausgehend vom Klageeingang im Juli 2012 nach gut 2 Jahren – also ab August 2014 – das Verfahren vorantreiben müssen. Da das nicht geschehen ist, das FG vielmehr den Fall erst mit der Terminankündigung im Dezember 2015 zielgerichtet bearbeitet hat, wurde das Verfahren ab August 2014 bis Dezember 2015 (volle 16 Monate) verzögert. Da die Erledigungserklärung allerdings lediglich den Verzögerungszeitraum von Februar 2015 bis November 2015 betraf (1.000 EUR für 10 volle Monate), steht der Klägerin auch noch für den restlichen Zeitraum von August 2014 bis Januar 2015 (6 Monate) eine Entschädigung zu (600 EUR).

Ausnahmsweise Zurückwirkung einer Verzögerungsrüge über sechs Monate hinaus

Die ersten beiden in 2013 erhobenen Verzögerungsrügen waren verfrüht und damit unwirksam. Das Verfahren war erst 6 bzw. 13 Monate anhängig und damit von der Schwelle von "gut 2 Jahren" ab Klageerhebung weit entfernt. Die dritte Verzögerungsrüge vom Juli 2015 war jedoch wirksam. Zu diesem Zeitpunkt war das Verfahren bereits 3 Jahre alt. Die Rüge war dennoch nicht verspätet und wirkte auch auf den Beginn (August 2014) der zu diesem Zeitpunkt bereits für knapp 12 Monate (August 2014 bis Juli 2015) bestehenden Verfahrensverzögerung zurück. Der BFH geht zwar von der Vermutung aus, dass eine Verzögerungsrüge im Regelfall nur für einen Zeitraum von "gut 6 Monaten" zurückwirkt (BFH v. 6.4.2016, X K 1/15, BStBl II 2016, 694). Im Streitfall liegt jedoch ein Ausnahmesachverhalt vor, der eine nur beschränkte Rückwirkung der Verzögerungsrüge nicht rechtfertigt. Die Klägerin hatte nämlich auf ihre zweite Verzögerungsrüge die Antwort erhalten, der Senat sei bestrebt, das Verfahren in 2014 abzuschließen. Die Klägerin durfte auf diese Ankündigung vertrauen und sollte für ihre Geduld nicht "bestraft" werden. Aus demselben Grund ist es unschädlich, dass sie nicht sofort nach Ablauf des vom FG angekündigten Bearbeitungszeitraums Ende 2014, sondern erst 6 Monate später zum dritten Mal die Verzögerung gerügt hat. Hier liegt kein unzulässiges "Dulden und Liquidieren", sondern ein nachvollziehbares Abwarten vor.

Kostenlast des Klägers bei sofortiger Anerkennung des Klageanspruchs kann unbillig sein

Die Kosten wurden, auch soweit das Land den Anspruch anerkannte und die Sache für erledigt erklärt wurde (1.000 EUR), dem beklagten Land auferlegt. Nach § 155 FGO i.V.m. § 93 ZPO fallen die Kosten zwar dem Kläger zur Last, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt und der Beklagte nicht durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben hat. Der Entschädigungskläger trägt somit das Risiko, die Kosten des Entschädigungsverfahrens zu tragen, wenn der Beklagte sofort anerkennt. Hier hat das Land den Anspruch der Klägerin für den Teilbetrag von 1.000 EUR innerhalb der ihm gesetzten Klageerwiderungsfrist und damit "sofort" anerkannt. Aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls wäre es jedoch unbillig, der Klägerin die Kosten des erledigten Teils des Rechtsstreits aufzuerlegen. Zum einen gab es zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch keine gerichtliche Entscheidung, in der dem Entschädigungskläger die Verfahrenskosten nach § 93 ZPO auferlegt wurden. Zum anderen war dem Prozessvertreter der Klägerin vom Vorsitzenden des FG-Senats sinngemäß mitgeteilt worden, das Entschädigungsbegehren sei unmittelbar durch Klage beim BFH geltend zu machen.

Hinweis: Drei Phasen des Klageverfahrens

Das finanzgerichtliche Klageverfahren durchläuft regelmäßig 3 Phasen: Die 1. Phase besteht in der Einreichung und im Austausch der Schriftsätze. Daran schließt sich die 2. Phase an, in der die Sache wegen der Arbeit des Senats an anderen Verfahren nicht bearbeitet wird. Die 3. Phase beginnt mit den Maßnahmen, mit denen das FG das Verfahren einer Entscheidung zuführt (Sachaufklärung, Ladung zur mündlichen Verhandlung usw.). Der BFH geht von der Vermutung aus, dass – sofern keine Besonderheiten vorliegen - die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn die ersten beiden Phasen "gut 2 Jahre" nicht überschreiten (BFH v. 7.11.2013, X R 13/12, BFH/NV 2014, 259).

Rückwirkung der Verzögerungsrüge für sechs Monate

Sodann bestätigt der BFH die Rechtsprechung zur begrenzten Rückwirkung der Verzögerungsrüge (BFH v. 6.4.2016, X K 1/15, BStBl II 2016, 694). Die Verzögerungsrüge soll neben der Erlangung einer Genugtuung (Geldentschädigung) eine Beschleunigung bewirken, damit es gar nicht zu einer entschädigungspflichtigen Verzögerung kommt. Die Beschleunigungswirkung würde entwertet, wenn es für eine Entschädigung gar nicht darauf ankäme, zu welchem Zeitpunkt nach Eintritt der Verzögerung die Rüge erhoben wurde. In manchen Fällen würde ein unzulässiges "Dulden und Liquidieren" ermöglicht. Für den Regelfall sieht der BFH einen Zeitraum von "gut 6 Monaten", für den die Verzögerungsrüge zurückwirkt, als angemessen und zumutbar an. Nur in Ausnahmefällen kann die Rüge für einen längeren Zeitraum zurückwirken.

Der Entschädigungskläger trägt die Verfahrenskosten, wenn der Beklagte den Anspruch sofort anerkennt

Außerdem bestätigt der BFH für die Entschädigungsklage die Anwendbarkeit des Grundsatzes nach § 93 ZPO, dass der Kläger die Verfahrenskosten trägt, wenn der Beklagte den Klageanspruch sofort anerkennt. Im Streitfall lag allerdings die Besonderheit vor, dass der BFH erstmals diese Frage für das Entschädigungsverfahren entschieden hat und dass dem Prozessvertreter vom FG eine zumindest missverständliche Auskunft erteilt wurde.

BFH, Urteil v. 29.11.2017, X K 1/16, veröffentlicht am 10.1.2018

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