Leitsatz
1. § 67 Satz 1 Halbsatz 2 des Einkommensteuergesetzes (i.d.F. des Gesetzes zur Digitalisierung von Verwaltungsverfahren bei der Gewährung von Familienleistungen) begründet keine Sperrwirkung dahingehend, dass ein elektronischer Kindergeldantrag nur noch nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz über die amtlich vorgeschriebene Schnittstelle zulässig ist.
2. Hat die Familienkasse einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente über das besondere elektronische Behördenpostfach eröffnet, kann darüber ein elektronischer Kindergeldantrag auch ohne Verwendung des amtlich vorgeschriebenen Datensatzes formwirksam gestellt werden.
Normenkette
§ 67 Satz 1 EStG, § 87a Abs. 1 Satz 1 AO, § 118 Abs. 2, § 126 Abs. 3, § 135, § 136, § 143 FGO, § 1, § 2 EGovG, § 6 Abs. 2 ERVV, § 19 RAVPV
Sachverhalt
Der Kläger ist Rechtsanwalt. Nach dem Tod seiner Ehefrau beantragte er, das Kindergeld für seine beiden Kinder fortan an ihn zu zahlen. Das von ihm qualifiziert elektronisch signierte Schreiben vom 27.12.2021 übermittelte der Kläger elektronisch über das besondere elektronische Anwaltspostfach an das besondere elektronische Behördenpostfach der Familienkasse. Am 31.12.2021 übermittelte der Kläger auf dem gleichen Weg die von ihm qualifiziert elektronisch signierten Antragsvordrucke für jedes Kind. Die Familienkasse lehnte den Antrag unter Hinweis auf die fehlende eigenhändige Unterschrift und die ihrer Ansicht nach unzulässige Art der Antragsübermittlung ab. Die Klage blieb ohne Erfolg (Hessisches FG, Urteil vom 20.4.2023, 9 K 39/23, Haufe-Index 16132182, EFG 2023, 1189).
Entscheidung
Der BFH sah die Revision als begründet an. Der Kläger habe zwar keinen elektronischen Antrag nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz über die amtlich vorgeschriebene Schnittstelle gestellt (§ 67 Satz 1 Halbsatz 2 EStG). Sein Antrag vom 27.12.2021 erfülle aber die Voraussetzungen einer schriftlichen Antragstellung nach § 67 Satz 1 Halbsatz 2 EStG. Der Antrag genüge den inhaltlichen Anforderungen, weil er sowohl den Antragsteller erkennen lasse als auch das Begehren, für die näher bezeichneten Kinder Kindergeld zu erhalten. Zudem habe die Familienkasse für die Übermittlung des Schreibens aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach an das besondere elektronische Behördenpostfach einen Zugang eröffnet. Dies gelte auch für elektronische Dokumente, die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen seien. Der Wortlaut des § 67 Satz 1 Halbsatz 2 EStG spreche nicht dafür, dass diese Form der Antragstellung ausgeschlossen werden sollte. Gleiches gelte für die Gesetzesmaterialien und den Sinn und Zweck der Regelungen über die Antragstellung.
Hinweis
1. Kindergeld wird nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag gewährt. Für die Antragstellung sieht § 67 Satz 1 Halbsatz 1 EStG vor, dass der Antrag bei der zuständigen Familienkasse schriftlich zu stellen ist. Der durch das Gesetz zur Digitalisierung von Verwaltungsverfahren bei der Gewährung von Familienleistungen vom 3.12.2020 (BGBl I 2020, 2668; BStBl I 2020, 1350) in § 67 Satz 1 EStG eingefügte Halbsatz 2 bestimmt darüber hinaus, dass eine elektronische Antragstellung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz über die amtlich vorgeschriebene Schnittstelle zulässig ist, soweit der Zugang eröffnet wurde.
2. Zur Frage, welche Anforderungen an einen schriftlichen Antrag zu stellen sind, hat der BFH bereits entschieden, dass es ausreicht, wenn die Identität des Antragstellers feststellbar ist und erkennbar wird, dass und für welche Kinder er Kindergeld begehrt (BFH, Urteil vom 12.10.2023, III R 38/21, BFH/NV 2024, 199). Der Antrag muss verschriftlicht sein, was eine Abgrenzung zur mündlichen (telefonischen) Antragstellung beinhaltet. Eine Unterschrift ist nicht erforderlich. Infolgedessen können auch eine E-Mail, ein Telefax oder ein Computerfax den Anforderungen an eine schriftliche Antragstellung genügen.
3. Hieran hat sich auch durch die Einfügung des § 67 Satz 1 Halbsatz 2 EStG nichts geändert. Die dort vorgesehene elektronische Antragstellung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz über die amtlich vorgeschriebene Schnittstelle stellt nur eine zusätzliche Möglichkeit der Antragstellung dar. Die neue Regelung schließt aber die bislang möglichen Formen der Übermittlung eines verschriftlichten Antrags nicht aus (keine Sperrwirkung der Neuregelung).
4. Aufgrund des Gesetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung hat die Verwaltung u.a. für die Kommunikation mit Rechtsanwälten einen Zugang zum besonderen elektronischen Behördenpostfach eröffnet. Dieses kann der Rechtsanwalt über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach adressieren.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 30.1.2024 – III R 15/23