Rz. 32

Die ermäßigte Besteuerung der Lebensmittel (Nahrungsmittel) hat in erster Linie sozialpolitische Gründe. Lebensmittel gehören zu den Gütern des lebensnotwendigen Bedarfs, für die schon der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Milderung der Regressionswirkung der USt (§ 12 Abs. 2 UStG Rz. 8) einen ermäßigten Steuersatz vorgesehen hatte.[1] Im Interesse einer möglichst einfachen Anwendung des Gesetzes werden jedoch nicht nur die sog. Grundnahrungsmittel, sondern auch Nahrungsmittel des gehobenen Bedarfs ermäßigt besteuert. Dadurch werden Abgrenzungsschwierigkeiten weitgehend vermieden. Ausgenommen von der Steuerermäßigung sind lediglich einige wenige Luxusnahrungsmittel, nämlich Kaviar, Langusten, Hummer, Austern und Schnecken. Diese Ausnahme erscheint allerdings wenig sachgerecht, weil ähnliche Luxusnahrungsmittel (z. B. Krabben, Garnelen, Trüffel, Froschschenkel, Gänseleberpastete, Fettlebern von Gänsen und Enten oder Hummersuppe) von der Steuerermäßigung nicht ausgeschlossen sind. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion[2] bekräftigt die Bundesregierung, dass nicht nur die sog. Grundnahrungsmittel, sondern auch Nahrungsmittel des gehobenen Bedarfs ermäßigt besteuert würden; auf eine Betrachtung als Lebensmittel des täglichen Bedarfs käme es nicht an. Deshalb sei die Ermäßigung auch für Fettlebern von Gänsen und Enten weiterhin angemessen. Dies gelte auch für die Ermäßigung von Krabben und Garnelen.

Das BMF vertritt in einem Bericht an den Finanzausschuss des Deutschen Bundestags v. 30.10.2007 zur Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes[3] die Auffassung, dass nur wenige Steuerermäßigungen, wie die niedrige Besteuerung von Lebensmitteln, der steuerlichen Schonung des soziokulturellen Existenzminimums dienten (Rz. 16). Ein vom BMF in Auftrag gegebenes Forschungsgutachten vom September 2010 kam zu einem ähnlichen Ergebnis (§ 12 Abs. 2 UStG Rz. 35ff.). Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass im Fall der Aufhebung bestimmter nicht mehr zeitgemäßer Steuerermäßigungen Lebensmittel, zumindest aber Grundnahrungsmittel, weiterhin begünstigt werden.

 

Rz. 32a

Durch die Richtlinie (EU) 2022/542 des Rates v. 5.4.2022 zur Änderung der Richtlinien 2006/112/EG und (EU) 2020/285 in Bezug auf die Mehrwertsteuersätze[4] ist das Unionsrecht mWv 6.4.2022 hinsichtlich der Anwendung ermäßigter Steuersätze umfassend neu gefasst worden. Den EU-Mitgliedstaaten ist ein größerer Spielraum eingeräumt worden, ermäßigte und stark ermäßigte Steuersätze oder Nullsteuersätze anzuwenden (§ 12 UStG Rz. 91 und 106i ff.). Unter anderem können die EU-Mitgliedstaaten ab dem 6.4.2022 Nullsteuersätze auf bestimmte Lebensmittel anwenden. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hatte sich daraufhin dafür ausgesprochen, auf – der Gesundheit dienende – Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte den Nullsteuersatz anzuwenden. Laut Frage 1 einer Kleinen Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an die Bundesregierung mit dem Titel "Neue Handlungsspielräume bei Umsatzsteuersätzen" (§ 12 UStG Rz. 106m) sollte sich die Bundesregierung unter anderem dazu äußern, ob sie dies befürworte und welche Steuermindereinnahmen bei einer entsprechenden Steuersatzsenkung zu erwarten wären. Die Bundesregierung antwortete, derzeit (Juli 2022) existiere keine Entscheidung der Bundesregierung, ob und in welchem Umfang eine Änderung der ermäßigten USt-Sätze initiiert werden soll.[5]

Die Steuermindereinnahmen aus einer Senkung des USt-Satzes für Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte von derzeit 7 % auf 0 % schätzte die Bundesregierung auf rund 2 Mrd. EUR für das Jahr 2022.

In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion bekräftigte die Bundesregierung, dass derzeit (April 2023) keine Entscheidung der Bundesregierung existiere, im Bereich der USt-Sätze auf die Lieferung von Lebensmitteln eine Gesetzesänderung zu initiieren.[6]

 

Rz. 33

Von den Getränken sind lediglich natürliches Wasser (Leitungswasser), Milch und Milchmischgetränke begünstigt. Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags hatte im Vorfeld der Einführung der MwSt in Deutschland zum 1.1.1968 den Regierungsentwurf des UStG 1967, der u. a. auch für Frucht- und Gemüsesäfte, Wein und Traubenmost eine Steuerermäßigung vorsah, insoweit abgeändert und diese Erzeugnisse aus Gründen einer gleichmäßigen Besteuerung aller Getränke und auch im Interesse eines einheitlichen Steuersatzes für das Hotel- und Gaststättengewerbe dem allgemeinen Steuersatz unterworfen.[7] Aus den gleichen Gründen sind auch bei der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs alle Anträge abgelehnt worden, die auf eine Einbeziehung von Frucht- und Gemüsesäften, Traubenmost, Wein und Bier in die Steuerermäßigung abzielten (§ 12 Abs. 2 UStG Rz. 12).

 

Rz. 34

Nach dem System der MwSt brauchten nur solche Lebensmittel begünstigt zu werden, die üblicherweise zur menschlichen Ernährung verwendet werden, d. h. die vom Endverbraucher erworben werden (sog. Lebensmittelendprodukte). Bei Vorprodukten der Leben...

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