Der BFH hob das vorinstanzliche Urteil des FG Baden-Württemberg auf und wies die Klage ab, da nicht die Festsetzung der Wegzugsteuer, sondern lediglich die sofortige Erhebung dieser Steuer ohne Realisierung der Wertzuwächse, also vor tatsächlicher Veräußerung der Gesellschaftsanteile, gegen Unionsrecht verstoßen würde. Da die Stundungsregelungen jedoch keinen Einfluss auf die Festsetzung der Einkommensteuer haben, ist es zulässig, im Zeitpunkt des Wegzugs die Wegzugsteuer festzusetzen. Damit hat der Stpfl. Wächtler zwar das BFH-Verfahren verloren, weil es allein die Ebene der Steuerfestsetzung betraf, jedoch die dauerhafte Stundung, die erst auf der Ebene der Steuererhebung zur Anwendung gelangt, zumindest insoweit gewonnen, als der BFH dem FA ein solches Stundungserfordernis mitgegeben hat.

Die Beteiligten stritten zwar lediglich über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Wegzugsteuer, so dass der BFH an dieser Stelle seine Ausführungen hätte beenden können. Er ließ es sich jedoch nicht nehmen, ergänzende und eindeutige Worte zur Rechtmäßigkeit der sofortigen Erhebung der Wegzugsteuer zu finden. Im Rahmen eines obiter dictum hielt der BFH fest, dass den vom EuGH in der Wächtler-Entscheidung verbindlich formulierten Vorgaben dadurch Rechnung zu tragen ist, dass die im nationalen Recht für Wegzüge in die Schweiz nicht vorgesehene zinslose und bis zur Anteilsveräußerung andauernde Stundung bis zum Veräußerungszeitpunkt von Amts wegen zu gewähren ist. Die Gewährung einer dauerhaften Stundung bei einem Wegzug in die Schweiz stützte er jedoch nicht auf eine analoge Anwendung des § 6 Abs. 5 AStG a.F., nach dem die geschuldete Wegzugsteuer bei einem Wegzug eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der EU bzw. des EWR-Abkommens in einen dieser Staaten zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden war.

Stattdessen hat der BFH unter Berücksichtigung der vom EuGH formulierten übernationalen Vorgaben (EuGH v. 26.2.2019 – C-581/17 – Wächtler, ECLI:EU:C:2019:138, EStB 2019, 117 [Weiss]), zumindest explizit für Wegzüge in die Schweiz, die in § 6 Abs. 4 und 5 AStG a.F. kodifizierten Stundungsregelungen verworfen, weil diese die Niederlassungsfreiheit aus dem FZA zugunsten der betroffenen Stpfl. verletzen (BFH v. 6.9.2023 – I R 35/20, Rz. 19, BFH/NV 2024, 302 = ISR 2024, 95 [Binnewies/Mehlhaf]). Es ist daher davon auszugehen, dass die in § 6 Abs. 5 Satz 4 AStG a.F. kodifizierten Widerrufsgründe jedenfalls im Hinblick auf Wegzüge in die Schweiz keine Anwendung finden.

Der BFH schloss sich damit der spätestens seit der Wächtler-Entscheidung in der Literatur h.A. an (s. nur Häck, ISR 2020, 17; Häck/Kahlenberg, IStR 2019, 253; Hörnicke, ISR 2021, 97, 98 f.; Hohenwarter-Mayr, EWS 2019, 129; Oellerich, EFG 2021, 25; Schlücke, IStR 2019, 264), dass durch eine Wegzugsbesteuerung ohne Möglichkeit des Aufschubs der Zahlung der geschuldeten Einkommensteuer ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit vorliege. Um dem betroffenen Stpfl. zu ermöglichen, sein Recht, sich in der Schweiz niederzulassen, auszuüben, ist daher eine zinslose und bis zur Anteilsveräußerung andauernde Stundung von Amts wegen zu gewähren.

Der BFH stellt für die Frage der Ungleichbehandlung auf einen Vergleich zwischen einem Wegzügler in die Schweiz und einer innerhalb Deutschlands verziehenden Person ab. Ein Stpfl., der sein Niederlassungsrecht nutzt, darf aufgrund dessen nicht schlechtergestellt werden als ein Stpfl., der innerhalb Deutschlands verzieht. Da Letzterer die in seinen Kapitalgesellschaftsanteilen ruhenden stillen Reserven erst versteuern muss, wenn diese Wertzuwächse bei der Veräußerung der Gesellschaftsanteile realisiert werden, wohingegen ein in die Schweiz wegziehender Stpfl. die Steuer für die latenten Wertzuwächse im Zeitpunkt seiner Wohnsitzverlegung zahlen muss, ohne einen Zahlungsaufschub bis zur Veräußerung der Anteile zu erhalten. Ein Wegzügler erleidet daher aufgrund der klaren und eindeutigen Aussagen des EuGH gegenüber einem Stpfl. mit fortdauerndem inländischen Wohnsitz einen Liquiditätsnachteil, der auch nicht durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt sein könne. Zwar sei eine sofortige Einziehung der Wegzugsteuer im Zeitpunkt des Wegzugs eine geeignete Maßnahme, um die Steuererhebung zu gewährleisten. Diese sei jedoch unverhältnismäßig, da durch Mechanismen der gegenseitigen Unterstützung bei der Betreibung von Steuerforderungen eine spätere Steuererhebung sichergestellt werden kann. Für den Fall, dass diese Mechanismen fehlen sollten, könne der Aufschub der Einziehung der Wegzugsteuer von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht werden.

Darüber hinaus stellt der BFH mit Bezugnahme auf die Ausführungen des EuGH klar, dass die Möglichkeit der Ratenzahlung – wie sie in § 6 Abs. 4 AStG a.F. vorgesehen war – nicht geeignet sei, den Liquiditätsnachteil aufzuheben, der mit der Verpflichtung zur Zahlung eines Teils der Wegzugsteuer im Wegzugszeitpunkt einhergehe. Da eine Ratenzahlung kostspieliger als eine Stundung se...

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