Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Honorarkürzung wegen Nichtteilnahme an der Telematikinfrastruktur (TI). Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht. kein Verstoß gegen (zahn)ärztliche Schweigepflicht durch Anschluss an die TI. Gebotsvorschrift des § 291 Abs 2b SGB 5 als Erlaubnisvorschrift

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Vorschriften über die Telematikinfrastruktur (§§ 291ff SGB V) stehen mit höherrangigem Recht, der DSGVO (juris: EUV 2016/679) und dem Grundgesetz (Art 12 GG) in Einklang (vgl SG Stuttgart Urteil vom 27.1.2022 - S 24 KA 166/20 = ZD 2023, 171; SG Mainz Urteil vom 27.7.2022 - S 3 KA 84/20; SG München Urteile vom 9.11.2022 - ua S 38 KA 5155/21; SG München Urteile vom 26.1.2023 - S 38 KA 190/20 und S 38 KA 72/22).

2. Ein Vertrags-(zahn)arzt, der sich entsprechend den gesetzlichen Regelungen an die Telematikinfrastruktur anschließt, verstößt nicht gegen die (zahn-)ärztliche Schweigepflicht aus § 203 StGB. Denn § 291 Abs 2b S 4, 5 SGB V stellt eine Gebotsvorschrift dar, die automatisch eine Erlaubnisvorschrift beinhaltet. Dies schließt eine Strafbarkeit nach § 203 StGB aus. Im Übrigen ist auch der subjektive Tatbestand des § 203 StGB bei bestimmungsgemäßem Anschluss an die TI, bestimmungsgemäßer Nutzung, ordentlicher Wartung und Beachtung der erforderlichen Datenschutzmaßnahmen (zum Beispiel Absicherung der Hard-und Software) zu verneinen (vgl Thomas Fischer, Kommentar zum StGB, RdNr 92 zu § 203).

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Der Kläger, der als Vertragszahnarzt zugelassen ist, wendet sich gegen die mit dem angefochtenen Ausgangsbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheids vorgenommenen Honorarkürzungen in den Quartalen 1/19 - 3/19 in Höhe von 1 % (= 1.087,19€) wegen Nichtteilnahme an der Telematikinfrastruktur (TI).

Zur Begründung der Kürzung wurde auf die Rechtsgrundlage des § 291 Abs. 2b Satz 14 a.F. (Satz 9 n.F; Anmerkung: genannte §§ SGB V ohne Zusatz sind solche, die in den strittigen Quartalen galten oder nach wie vor gelten) hingewiesen. Die Teilnahme an der Telematikinfrastruktur (Online-Abgleich der Versichertenstammdaten) sei u.a. für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte verpflichtend. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht liege nicht vor. Die Beklagte setzte sich insbesondere mit den Argumenten des Klägers, die dieser im Rahmen des Vorverfahrens vortrug bzw. vortragen ließ, auseinander.

So wurde betont, eine Verletzung von Privatgeheimnissen § 203 StGB sei nicht ersichtlich, wenn die Telematikinfrastruktur eingeführt und bestimmungsgemäß betrieben werde; etwas anders stelle sich die Situation dar, wenn es aufgrund fehlender Datenschutzmaßnahmen (fehlende Absicherung der Hard-oder Software mittels Firewall, Zugriffsbeschränkung oder ähnlichem) zu einem Datenmissbrauch kommen sollte. Eine Verletzung erfordere immer ein Verschulden oder einen Vorsatz. Ferner sei ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), insbesondere gegen Art. 6 Abs. 1c und e, Abs. 2, Abs. 3 und Art. 9 Abs. 1 Absatz 2, Abs. 3, Abs. 4 DSGVO nicht zu besorgen. Vor allem sei eine Gefährdung der Datensicherheit der Praxis-IT-Systeme durch eine Implementierung der TI nicht zu erwarten. Denn die TI sei ein geschlossenes Netz, zu dem nur registrierte Nutzer mit einem elektronischen Ausweis Zugang erhielten. Wesentliches Element sei der Konnektor. Dieser schütze die Praxen bzw. Apotheken vor unberechtigten Zugriffen aus dem Internet und aus der TI, indem er die Kommunikation zwischen Praxissoftware, elektronischer Gesundheitskarte, Institutionsausweis und TI koordiniere und verschlüssle. Gleichzeitig schütze der Konnektor auch die TI vor beispielsweise Schadstoffsoftware in der Arztpraxis.

Durch das Zertifizierungsverfahren und die dafür notwendige Sicherheitsüberprüfung für die Herstellung und den Betrieb von Produkten der TI und Diensten gewährleiste die Gematik, die die Architektur der TI maßgeblich definiere und entwickle, dass die sensiblen Gesundheitsdaten vor unbefugtem Zugriff sicher seien. Bei der Gematik handle es sich um eine private Gesellschaft mit einer Mehrheitsbeteiligung der Bundesrepublik Deutschland (Gesellschafterbeteiligung: Bundesrepublik Deutschland zu 51 %, vertreten durch das BMG). Es liege im Regelungsspielraum des Gesetzgebers, die Regelungskompetenzen abzugeben.

Zusammenfassend seien die angefochtenen Bescheide rechtmäßig. Die Kürzung sei somit zu Recht erfolgt.

Gegen den Ausgangsbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht München einlegen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger werde durch den angefochtenen Bescheid in seinen Rechten verletzt. Denn dieser solle mit dem Druckmittel der Kürzung seiner Honorare in rechtswidriger Weise dazu gezwungen werden, sein IT-System an die Thematikinfrastruktur anzubinden und die Durchführung des Versichertenstammdatenmanagements zu genehmigen. Der Kläger sei gegenüber seinen Patienten a...

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