Entscheidungsstichwort (Thema)

Kurzarbeitergeldanspruch. Kurzarbeit inländischer Mitarbeiter einer ausländischen Fluggesellschaft während Corona-Pandemie. Vorliegen der betrieblichen Voraussetzungen. inländischer Betrieb. Heimatbasen an deutschen Flughäfen. Europarechtskonformität

 

Orientierungssatz

Ausländische Fluggesellschaften, die aufgrund der Einschränkungen des Flugverkehrs während der Corona-Pandemie ihren Betrieb einschränken mussten, können für ihre im Inland beschäftigten Mitarbeiter Kurzarbeitergeld beanspruchen, auch wenn sie lediglich Heimatbasen ohne Leitungsfunktion an deutschen Flughäfen unterhalten.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 28.01.2022 geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2020 verurteilt, der Klägerin Kurzarbeitergeld sowie Beiträge zur Sozialversicherung für die Monate Juni 2020 bis Februar 2021 für die auf den Heimatbasen in Deutschland beschäftigten betroffenen Arbeitnehmer nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Kurzarbeitergeld für ihre in Deutschland stationierten Mitarbeiter (Flug- und Kabinenpersonal) von Juni 2020 bis Februar 2021.

Die Klägerin ist eine Fluggesellschaft mit Unternehmenssitz auf S., die zur N.-Gruppe gehört. Diese eröffnete im Jahr 2002 ihren ersten Standort in Deutschland am Flughafen C.-M., weitere folgten an den Flughäfen V. (2007), H. (2012), F./J. (2014), U.-X. (2015), G. (2016), C.-International und Y. (2017) sowie U.-P. (2019). Zum 01.01.2020 übernahm die Klägerin die jeweiligen Heimatbasen im Wege des Betriebsübergangs. Die in Deutschland stationierten Mitarbeiter sind seither bei der Klägerin angestellt und der Flugbetrieb der N.-Gruppe wird von den deutschen Heimatbasen ausschließlich durch die Klägerin abgedeckt. Nach außen tritt weiterhin die Muttergesellschaft auf. Sie beauftragt die Klägerin im "Wet-Lease"-Verfahren mit der Durchführung der Flüge. Sowohl die Flugzeuge als auch das Personal werden von der Klägerin gestellt. Der Ticketverkauf erfolgt durch die Muttergesellschaft im eigenen Namen, auf den Tickets findet sich der Zusatz "operated by S. Air Ltd.". Die Flugplanung für die gesamte Gruppe erfolgt am Sitz der Muttergesellschaft in W., die Geschäftsführung und Personalleitung der Klägerin haben ihren Sitz auf S..

Die Klägerin betrieb im streitigen Zeitraum Heimatbasen an den Flughäfen F./J., C. am Z., H., C.-M., Y., U.-X., U.-P. und V.. Die U. Heimatbasen befinden sich seit November 2020 am Flughafen U.-D.. An den Heimatbasen sind die Flugzeuge der Klägerin stationiert. Die als Flug- und Kabinenpersonal beschäftigten Mitarbeiter sind jeweils einer Heimatbasis an einem deutschen Flughafen zugewiesen. Die Klägerin behält sich in ihren Arbeitsverträgen vor, die Mitarbeiter an eine andere Heimatbasis zu versetzen. Die Lohnabrechnung für die in Deutschland stationierten Mitarbeiter erfolgt über einen externen Dienstleister in F.. Der Klägerin wurde von der Agentur für Arbeit F. eine einheitliche Betriebsnummer für alle deutschen Heimatbasen zugeteilt. Insgesamt beschäftigte die Klägerin im Juni 2020 in Deutschland 1.175 Mitarbeiter, davon befanden sich 898 in Kurzarbeit. Ein Betriebsrat existierte im streitigen Zeitraum an keiner Heimatbasis. An den einzelnen Heimatbasen sind jeweils ein "base captain" für das Flugpersonal und ein "base supervisor" für das Kabinenpersonal zuständig. Diese erfüllen neben ihrer Tätigkeit im Flugbetrieb administrative Aufgaben und haben Entscheidungskompetenzen, die dazu dienen, einen reibungslosen Betriebsablauf vor Ort sicherzustellen. Entscheidungen im Flugbetrieb und im Personalbereich werden von der Flugzentrale in W. und der Unternehmens- und Personalleitung auf S. getroffen. Die Klägerin verfügt an den Heimatbasen über Räumlichkeiten, in denen der "base captain" und der "base supervisor" ihre administrativen Tätigkeiten ausführen und sich die Mitarbeiter während ihrer Dienstzeiten aufhalten können. In den Räumlichkeiten werden Schulungen durchgeführt und stehen Computerarbeitsplätze für dienstliche Zwecke zur Verfügung.

Die Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 11.03.2020 an die Beklagte und wies auf Einschränkungen des Flugbetriebs aufgrund der Corona-Pandemie und die beabsichtigte Einführung von Kurzarbeit hin. Ab dem 19.03.2020 wurde der Flugverkehr an den deutschen Stationierungsorten stark eingeschränkt und ab dem 24.03.2020 nahezu vollständig ausgesetzt. Am 31.03.2020 vereinbarte die Klägerin mit der Gewerkschaft Q. einen Tarifvertrag zur Einführung von Kurzarbeit bis zum 31.05.2020. Für Juni 2020 wurden entsprechende Verträge mit Q. und mit der O. geschlossen. Diese Vereinbarungen wurden später bis zum 31.12.2021 verlängert.

Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes starteten oder landeten im Jahr 2020 rund 57,8 M...

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