Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeldanspruch. Verlängerung der Anspruchsdauer. Sonderregelung. Corona-Pandemie. Begrenzung auf den Zeitraum Mai bis Dezember 2020. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Verlängerung der Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs um drei Monate gilt nur für Personen, deren Anspruch sonst in der Zeit vom 1. Mai 2020 bis zum 31. Dezember 2020 ausgelaufen wäre.

2. Die einschlägige Rechtsgrundlage in § 421d Abs 1 SGB III ist nicht analogiefähig.

3. Die Beschränkung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Sonderregelung verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. März 2021 wird zurückgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers mit dem sinngemäß gestellten Antrag,

den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 1. März 2021 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller für die Zeit vom 29. Januar 2021 bis 28. April 2021 vorläufig Arbeitslosengeld in Höhe von 52,41 Euro täglich zu gewähren,

ist unbegründet.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein Rechtsverhältnis gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist sowohl ein Anordnungsanspruch (d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines materiellen Leistungsanspruchs) als auch ein Anordnungsgrund (d.h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), deren tatsächliche Voraussetzungen glaubhaft zu machen sind (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Zivilprozessordnung - ZPO).

Einen solchen Anordnungsanspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 29. Januar 2021 bis 28. April 2021 hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.

Die Anspruchsdauer des streitgegenständlichen Arbeitslosengeldanspruchs ergibt sich - nach § 77 SGG für beide Beteiligten bindend - aus dem bestandskräftigen Bewilligungsbescheid der Antragsgegnerin vom 25. Februar 2020. Damit hat diese eine Anspruchsdauer von 360 Tagen festgelegt, die der Antragsteller in der Zeit vom 30. Januar 2020 bis 28. Januar 2021 in Anspruch genommen hat. Gemäß § 148 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) mindert sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um die Anzahl von Tagen, für die der Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit erfüllt worden ist. Das Arbeitslosengeld wird für Kalendertage berechnet und geleistet; ist es für einen vollen Kalendermonat zu zahlen, ist dieser mit 30 Tagen anzusetzen (§ 154 SGB III). Daher war die Gesamtanspruchsdauer von 360 Tagen mit Ablauf des 28. Januar 2021 erschöpft und der Leistungsanspruch des Antragstellers aus dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. Februar 2020 vollständig erfüllt.

Dass die ursprüngliche Bestimmung der Anspruchsdauer schon bei Erlass dieses Bewilligungsbescheids rechtswidrig gewesen sei, macht der Antragsteller nicht geltend und ist auch sonst nicht ersichtlich, worauf das Sozialgericht bereits zutreffend hingewiesen hat. Das Begehren des Antragstellers ist damit nicht auf eine Rücknahme nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) gerichtet.

Sein Antrag vom 8. Januar 2021 gegenüber der Antragsgegnerin stützt sich vielmehr auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Arbeitsmarkt, also eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse. Rechtsgrundlage für die angestrebte Neufestsetzung der Anspruchsdauer ist damit § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X. Danach soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (auch rückwirkend vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an) aufgehoben werden, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung zugunsten des Betroffenen eingetreten ist. „Wesentlich“ bedeutet in diesem Zusammenhang „rechtserheblich“ (KassKomm/Steinwedel SGB X § 48 Rn. 13 mit Nachweisen zur höchstrichterlichen Rechtsprechung); es kommt also darauf an, ob die veränderte Sach- oder Rechtslage nach den Vorschriften des materiellen Rechts eine abweichende Verwaltungsentscheidung nach sich ziehen würde.

Daran fehlt es indes im vorliegenden Fall. Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld hängt nach Maßgabe von § 147 SGB III von der Dauer der Vorversicherungszeit und dem Lebensalter ab. Die tatsächlichen individuellen Vermittlungschancen bleiben dagegen ebenso unberücksichtigt wie die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt im Allgemeinen. Die mit der Corona-Pandemie einhergehende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ist daher nicht geeignet, als wesentlich im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X angesehen zu werden.

Eine wes...

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