Differenzierung zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit
Die Rechtsprechung hat für die Abgrenzung zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit folgende Faustformel entwickelt:
- Leicht fahrlässig ist ein Verhalten, bei dem der verständige Beobachter denkt: Das kann jedem mal passieren.
- Grob fahrlässig ist ein Verhalten, bei dem der verständige Durchschnittsbeobachter denkt: Das darf eigentlich nicht passieren (BGH, Urteil v. 29.1.2003, IV ZR 173/01; BSG, Beschluss v. 13.3.2019, B 8 SO 85/18 B).
- Auf der objektiven Seite setzt grobe Fahrlässigkeit einen schweren Pflichtverstoß, auf der subjektiven Seite Unentschuldbarkeit voraus (BGH Urteil v. 25.5.2011, IV ZR 151/09).
Beispiel: Leichte Fahrlässigkeit
Ein Mieter erhitzt Fett in einem Fondue-Topf auf dem Herd. Anfangs beobachtet er das Fett ständig. Als er einen Telefonanruf erhält verlässt er die Küche, um den Hörer seiner Freundin weiter zu reichen. In den zwei Minuten, für die er sich aus der Küche entfernt hat, explodiert der Topf und ein Feuer bricht aus.
Nach der Rechtsprechung kann der Vermieter vom Mieter nur Ersatz verlangen, wenn dem Mieter Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann. Ist der Brand nicht vom Mieter verschuldet, haftet er auch nicht. Sein Haftpflichtversicherer muss dann ebenfalls nicht leisten.
Das OLG Karlsruhe bewertete das Verhalten des Mieters lediglich als leicht fahrlässig. Zwar habe der Mieter mit dem Verlassen der Küche objektiv und subjektiv die allgemeine Sorgfaltspflicht verletzt. Für die leichte Fahrlässigkeit sprach aber aus Sicht des Gerichts, dass er das heiße Fett anfangs ständig beobachtet habe und er sich nur kurz aus der Küche entfernt habe (OLG Karlsruhe, Urteil v. 7.2.2008, 12 U 126/07).
Beweislast
Für eine über eine nur leichte Fahrlässigkeit hinausgehende Fahrlässigkeit trägt der Versicherer die Beweislast (BGH VersR 2005, 1387). Die Beweislast betrifft sowohl die objektive als auch die subjektive Komponente der Fahrlässigkeit.
Besonderheiten bei Obliegenheitsverletzungen
Die Grundsätze zur grob fahrlässigen Herbeiführung eines Versicherungsfalls gelten in ähnlicher Weise bei der Verletzung von versicherungsrechtlichen Obliegenheiten durch den Versicherungsnehmer, § 28 Abs. 2 VVG. Obliegenheiten des Versicherungsnehmers sind zum Beispiel die Beachtung von Sorgfaltspflichten betreffend die Vermeidung von besonderen Gefahrensituationen, Meldepflichten hinsichtlich eingetretener Gefahrerhöhungen und die unverzügliche Meldung des Versicherungsfalls nach Schadenseintritt.
Bestimmt der Versicherungsvertrag, dass der Versicherer bei Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit des Versicherungsnehmers nicht zur Leistung verpflichtet ist, ist er im Fall der vorsätzlichen Verletzung der Obliegenheit von der Leistungspflicht befreit. Im Falle einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistungen einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen.
Zu beachten ist in diesen Fällen die im Vergleich zur schuldhaften Herbeiführung eines Schadenfalls abweichende Beweislast: Die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt im Fall einer Obliegenheitsverletzung der Versicherungsnehmer, § 28 Abs. 2 Satz 2 HS 2 VVG. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass die Leistungsfreiheit des Versicherungsnehmers nicht eintritt, wenn die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls, noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist, es sei denn der Versicherungsnehmer hat die Obliegenheit arglistig verletzt § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG.