Ab wann gilt ein falsch angegebener Kraftstoffverbrauch als Sachmangel?
Die renommierte „International Council on Clean Transportation“ (ICCT) überprüft seit Jahren weltweit die Angaben der Automobilhersteller unter anderem zum Kraftstoffverbrauch und zum Schadstoffausstoß auf ihren realen Gehalt. Nach dem Ergebnis Studie verbraucht der Durchschnitt der verkauften Kraftfahrzeuge im täglichen Straßenverkehr rund 42 % mehr Kraftstoff als von den Herstellern angegeben.
Nach Einschätzung der ICCT ist dieses Resultat auf eine immer ausgeklügeltere Ausnutzung der Schlupflöcher in der Testprozedur durch die Fahrzeughersteller zurückzuführen.
Gilt zu hoher Kraftstoffverbrauch vor Gericht als Sachmangel?
Das ein solches Überschreiten rechtliche Konsequenzen haben kann, haben Zivilgerichte mehrfach entschieden:
In einem Fall bestellte der Kläger bei einem Renault-Vertragshändler einen Scenic mit Automatikgetriebe und M-Ausstattung zu einem Preis von 20.260 EUR. Vor der Bestellung hatte er sich den Verbrauchsprospekt sogar ganz genau angesehen.
Tolle Verbrauchswerte nur im Prospekt
Dort waren folgende Verbrauchswerte vermerkt: Innerorts: 10,3 l; außerorts: 6,2 l; kombiniert: 7,7 l/100 km. Darunter war vermerkt: „Fünf Messverfahren gemäß RL 80/1268/EWG. Verbrauchswerte ohne Zusatzausstattung. Mit eingeschalteter Klimaanlage erhöht sich der Verbrauch um ca. 0,2 l/100 km“.
Mehr Verbrauch: 13 l/km statt 10 oder 6 l
Nach der Fahrzeugübergabe beanstandete der Kläger zu hohe Verbrauchswerte um die 13 l/100 km. Einstellarbeiten am Motor brachten im Februar 2010 nicht den gewünschten Erfolg. Im April 2010 erklärte der Kläger daher den Rücktritt vom Kaufvertrag. Bis zum Urteil des OLG vergingen knapp drei Jahre.
Verbrauchswerte gehören zur Beschaffenheit des Fahrzeugs
Der zweitinstanzlich mit der Sache befasste OLG-Senat stellte klar, ein verständiger Käufer wisse, dass die tatsächlichen Verbrauchswerte eines Fahrzeuges von zahlreichen individuellen Einflüssen, insbesondere der Fahrweise des Nutzers und von Zusatzausstattungen abhängig seien.
Der Käufer wisse daher auch, dass Prospektangaben zum Verbrauch nicht mit dem tatsächlichen Alltagsverbrauch gleich zu setzen sind.
Werte müssen unter Testbedingungen reproduzierbar sein
Gleichwohl könne der Käufer nach ständiger Rechtsprechung aber erwarten, dass die im Prospekt angegebenen Werte zumindest unter Testbedingungen reproduzierbar seien (OLG Koblenz, Beschluss v. 28.10. 2010, 2 U 1487/09).
Prospektangaben auch unter Prüfstand Bedingungen nicht verifizierbar
Erstinstanzlich hatte ein Kfz-Sachverständiger eine Prüfstandsuntersuchung gemäß der EG-Richtlinie durchgeführt und hierbei deutlich höhere Fahrwiderstände des gekauften Fahrzeugs im Verhältnis zu dem Homologationsfahrzeug festgestellt, das der Hersteller für die Messung der Verbrauchswerte verwendet hatte. Insbesondere hierauf führte der Sachverständige die festgestellten höheren Verbrauchswerte zurück. Diese lagen innerorts bei 11,4 statt 10,3, außerorts bei 6,9 statt 6,2 und kombiniert bei 8,5 statt 7,7 L pro 100 KM.
Der Kläger hat nicht nur einen Motor gekauft
Das beklagte Autohaus wendete ein, die vom Sachverständigen gefundenen Ergebnisse seien in dieser Form nicht verwertbar. Der Sachverständige dürfe nicht von den gemessenen erhöhten Fahrwiderstandswerten ausgehen, sondern müsse die niedrigeren Fahrwiderstandswerte des Homologationsfahrzeuges zugrunde legen.
Hierzu merkte der Senat sarkastisch an, die Ausführungen der Beklagten würden zu rein theoretischen Verbrauchswerten des Motors führen, ohne das übrige Fahrzeug zu berücksichtigen. Bei einem solchen Ansatz käme den Prospektangaben zum Verbrauch keinerlei praktische Bedeutung mehr zu. In der Praxis sei es aber so, dass ein Käufer nicht nur einen Motor, sondern ein komplettes Fahrzeug kaufe. Daher sei es praxisgerecht, die tatsächlichen Fahrwiderstände bei der Berechnung des Verbrauchswertes einzubeziehen.
Mehrverbrauch von 10,35 % = erhebliche Pflichtverletzung
Der Senat wertete die Abweichung der Verbrauchswerte auch als eine erhebliche Pflichtverletzung des Herstellers im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB, die den Käufer zum Rücktritt berechtige.
Eine solche Pflichtverletzung sei regelmäßig dann anzunehmen, wenn der im Verkaufsprospekt angegebene Verbrauchswert um mehr als 10 % überschritten wird (OLG Hamm, Urteil v. 09.06.2011, 28 U 12/11).
Mit einem gemessenen Mehrverbrauch von 10,35 % sei diese Erheblichkeitsschwelle überschritten. Hinsichtlich des zurück zu zahlenden Kaufpreises von 20.260 € sei jedoch gemäß § 346 Abs. 1 und 2 BGB ein Abzug für die bisherige Fahrzeugnutzung vorzunehmen, den der Senat in diesem Fall mit ca. 3.000 € (15.000 km Fahrleistung) bemessen hat.
(OLG Hamm, Urteil v. 07.02.2013, I – 28 U 94/12).
Hintergrund:
Bei der Bewertung der Frage, ob der Kraftstoffverbrauch eines Fahrzeugs der vereinbarten Beschaffenheit entspricht, kommt es nicht auf den tatsächlichen Kraftstoffverbrauch des Fahrzeugs im normalen Betrieb, sondern darauf an, wie hoch der Verbrauch entsprechend den Herstellerangaben bei Anwendung des Messverfahrens nach der EG-Richtlinie ist (vgl. BGH, Urteil v. 18.06.1997, VIII ZR 52/96, Beschluss. v. 08.05.2007, VIII ZR 19/05, NJW 2007, 2111 und OLG Frankfurt a. M., Urteil v. 22.12.2011, 25 U 162/10).
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