Keine Haftung der Bank bei gestohlener EC-Karte?

Wird mit einer gestohlenen EC-Karte unter Eingabe der PIN Geld abgehoben, spricht ein Anscheinsbeweis für einen grob fahrlässigen Umgang des Kunden mit der PIN, sodass die Bank nicht zur Erstattung verpflichtet ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die EC-Karte so unüberwindbare Sicherheitsmerkmale besitzt, dass die PIN nicht aus der Karte herausgelesen werden kann.

Ein Zahlungsdienstleister verstößt nicht gegen § 675w S. 4 BGB, wenn er die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises erbringt, indem er darlegt, dass die Sicherheitsmerkmale von Zahlungskarten praktisch unüberwindbar sind.

Bank sah Anscheinsbeweis zu Lasten des Kundin erfüllt

Einer Bankkundin war die EC-Karte gestohlen worden. Bevor sie diese sperren lies, wurden Beträge über fast 1.000 EUR an einem Geldautomaten abgehoben. Die Bank weigerte sich, der Kundin diese Beträge zu erstatten, da die Abhebungen mit der Originalkarte und Eingabe der PIN erfolgt waren. Die Bank berief sich auf einen Anscheinsbeweis, wonach davon auszugehen sei, dass die Kundin ihre PIN nicht ausreichend geheim gehalten hatte.

Verbraucherverein sah in der Haftungsvereinbarung eine Irreführung der Verbraucherin und mahnte ab

Nachdem ein von der Kundin eingeleitetes Schlichtungsverfahren vor dem Ombudsmann der privaten Banken erfolglos verlaufen war, wandte die Kundin sich an einen Verbraucherschutzverein, der in der Haftungsgewichtung der Bank, die sich auch im Vertrag mit der Kundin niederschlug,  eine unlautere Irreführung der Verbraucher sah. Der Verbraucherverein forderte die Bank mittels einer Abmahnung zur Unterlassung auf.

Die Bank ließ sich davon nicht beeindrucken und wurde daher vom Verbraucherschutzverein gerichtlich auf Unterlassung, Beseitigung und Kostenerstattung in Anspruch genommen.

Unterlassungsklage gegen die Bank blieb erfolglos

Der Verbraucherverband klagte daraufhin, die Bank zu verurteilen, es zu unterlassen,

im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern, mit denen ein Zahlungsdienstvertrag geschlossen wurde und denen die Bank1-Card von Dritten entwendet wurde und zu deren Lasten mit dieser Bargeldabhebungen erfolgten und dadurch das Zahlungskonto belastet wurde, eine Erstattung der dadurch entstandenen Schäden unter Berufung auf das Vorliegen eines Anscheinsbeweises dahingehend zu verweigern, dass der Karteninhaber die PIN nicht ausreichend geheim gehalten und damit eine erhebliche Sorgfaltspflichtverletzung im Umgang mit der Bank1-Card und der PIN begangen zu haben, ohne für die Behauptung (unterstützende) Beweismittel vorzulegen.

Das in zweiter Instanz mit der Sache befasste OLG Frankfurt a.M. verneinte eine irreführende geschäftliche Handlung der Bank und wies die geltend gemachten Unterlassungsansprüche als unbegründet zurück.

Die Bank durfte sich zu Recht auf einen Anscheinsbeweis berufen. Zwar genügt dafür nach der im Jahr 2018 eingeführten Regelung in § 675w BGB nicht mehr die bloße Tatsache, dass die Abbuchung unter Verwendung der Originalkarte und der PIN erfolgt war. Vielmehr müssen nach der neuen Regelung zusätzlich unterstützende Beweismittel von der Bank erbracht werden.

Wann darf unterstellt werden, dass mit dem PIN nachlässig umgegangen wurde?

Als ein unterstützendes Beweismittel ließ das OLG aber den durch ein Gutachten eines Diplominformatikers erbrachten Nachweis genügen, dass es aufgrund der physischen Sicherheitseigenschaften der EC-Karte nicht möglich ist, den enthaltenen Chip zu kopieren und die PIN aus der Karte herauszulesen. Die Bankkundin kann sich dann nicht durch die Behauptung entlasten, dass ihr die Karte gestohlen worden sei.

Vielmehr sprechen die praktisch unüberwindbaren Sicherheitsmerkmale der EC-Karte dafür, dass die PIN auf der Karte notiert oder in unmittelbarer Nähe hierzu aufbewahrt worden ist. Im Falle eines solchen grob fahrlässigen Verhaltens der Kundin, ist die Bank nicht zur Erstattung verpflichtet.

(OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 30.09.2021, 6 U 68/20).

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Hintergrund: Beweislage bei Abhebung mit Geheimzahl und Original-Karte

Bei der missbräuchlichen Abhebung an einem Geldautomaten unter Eingabe der richtigen persönlichen Geheimzahl und unter Verwendung der Original- EC-Karte geht der BGH dem ersten Anschein davon aus, dass der Dieb die Geheimnummer kannte, weil sie zusammen mit der Karte aufbewahrt worden ist (BGH NJW 12, 1277 ff = MDR 12, 239 f im Anschluss an BGHZ 160, 308 ff = NJW 04, 3623 ff).

Voraussetzung ist allerdings, dass die Bank die konkrete Ausgestaltung des von ihr eingesetzten Authentifizierungssystems und dessen Sicherheitsniveau für den in Rede stehenden Einzelfall darlegt und ggfl. beweist (BGHZ 208, 331, 346 Rz 46 = NJW 16, 2024, 2028).

Erst wenn feststeht, dass das Sicherheitssystem im konkreten Einzelfall ordnungsgemäß angewendet und fehlerfrei funktioniert hat, kann dem ersten Anschein nach von einer wirksamen Abhebung mit der Originalkarte ausgegangen werden. Ist danach ein Anscheinsbeweis zu bejahen, dürfen die Anforderungen an den Gegenbeweis zur Erschütterung des Anscheinsbeweises nicht überspannt werden. Da die volle Haftung des Kunden gem. § 675v II BGB nur bei grober Fahrlässigkeit eingreift, geht es zur Erschütterung des Anscheinsbeweises ohnehin regelmäßig nur darum, den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit auszuräumen.

Stehen dem Kunden keine anderen Beweismittel zur Verfügung, kommt auch eine Parteivernehmung gem. § 448 in Betracht, um den Anscheinsbeweis, er habe Karte und Geheimnummer zusammen verwahrt, zu erschüttern (BGH, Urteil v. 29.11.2011, XI ZR 370/10). 

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium

Schlagworte zum Thema:  Betrug, Fahrlässigkeit, Haftung, Anscheinsbeweis