Zum Versicherungsschutz bei Schäden durch einen geplatzten Reifen

Wann besteht bei einem Totalschaden wegen eines Reifenplatzers auf der Autobahn Versicherungsschutz durch die Vollkaskoversicherung? Wenn die Schadensursache kein Fremdkörper auf der Fahrbahn, sondern ein wegen eines Montagefehlers geplatzter Reifen ist, haftet die Kaskoversicherung nicht, weil kein Unfall i. S. der AVB vorliegt.

Während einer Autobahnfahrt des Versicherungsnehmers platzte plötzlich der linke Hinterreifen. Das Fahrzeug geriet ins Schleudern, dem Fahrer gelang es, den Wagen auf dem Seitenstreifen zum Stehen zu bringen. Ein Personenschaden entstand glücklicherweise nicht. Aber der geplatzte Reifen bzw. die gelösten Reifenteile hatten den Radkasten, die linke Seitenwand und den hinteren Stoßfänger stark beschädigt. Der Gutachter stellte einen Totalschaden bei dem schon älteren Fahrzeug fest.

Reifen waren am Unfalltag von Fachwerkstatt montiert worden

Der Autofahrer wollte von seinem Vollkaskoversicherer den entstandenen Schaden ersetzt bekommen. Seine Argumentation: Die Winterreifen seien am selben Tag, kurz vor Antritt der Fahrt, von einer Fachwerkstatt montiert worden und völlig in Ordnung gewesen. Daraus schlussfolgerte er, die Ursache für das Platzen des Reifens müsse das Überfahren eines für ihn nicht erkennbaren Fremdkörpers auf der Straße gewesen sein.

Versicherung will nicht zahlen – Reifen müsse schon vor der Fahrt beschädigt gewesen sein

Die beklagte Versicherung lehnte es ab, zu zahlen. Sie bestritt, dass der Reifen geplatzt sei, weil während der Fahrt ein Fremdkörper in den Reifen eingedrungen sei. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass der Reifen schon vor der Fahrt beschädigt gewesen sei. Unter diesen Umständen bestehe kein Versicherungsschutz in der Vollkaskoversicherung.

Ein Fahrzeugschaden, der durch einen geplatzten Reifen verursacht werde, sei kein Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen, wenn das Ereignis nicht durch einen eingedrungenen Fremdkörper, sondern durch einen schon vorher bestehenden Reifenschaden ausgelöst worden sei.

Ohne Beweis für Eindringen eines Fremdkörpers laut Versicherungsbedingungen kein Unfall

Das OLG Karlsruhe gab der Versicherung Recht. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass der Reifen nicht durch das Eindringen eines Fremdkörpers verursacht worden sei, sondern aufgrund eines vorher durch einen Montagefehler entstandenen Reifenschaden. Die Voraussetzungen für einen Vollkasko-Versicherungsschutz lägen daher nicht vor.

Wann die Vollkaskoversicherung für Schäden durch einen geplatzten Reifen aufkommen muss

Die Vollkaskoversicherung muss dann zahlen, wenn ein Reifen während der Fahrt durch einen eingedrungenen Fremdkörper platzt. Dann handelt es sich um ein von außen mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis und damit um einen Unfall gemäß den Versicherungsbedingungen.

Wann besteht keine Leistungspflicht der Vollkasko für Schäden durch geplatzte Reifen?

Ist ein schon vor Fahrtantritt bestehender Reifenschaden die alleinige Ursache dafür, dass ein Reifen bei einer normalen Fahrt auf der Autobahn plötzlich platzt, handelt es sich nicht um ein versichertes Unfallereignis. Denn in einem solchen Fall beruht der Schaden nicht auf einem Ereignis, das unmittelbar von außen mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkt, sondern allein auf einer inneren Ursache durch ein schadhaftes Fahrzeugteil.

Innere Ursachen, für die die Versicherung nicht aufkommen muss, können sein:

  • ein schon vorher bestehender Reifenschaden,
  • eine fehlerhafte Montage des Reifens,
  • ein fehlerhafter Luftdruck.

Hinsichtlich der Beweislast gilt: Der Versicherungsnehmer muss beweisen, dass die Voraussetzungen eines Unfalls vorlagen.

(OLG Karlsruhe, Urteil v. 17.12.2020, 9 U 124/18).

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Hintergrund: Beweislast beim Kasko-Versicherungsfall

Der Versicherungsnehmer ist für den Eintritt des Versicherungsfalls und die Schadenhöhe gemäß § 286 ZPO beweispflichtig. Wenn aufgrund des Beschädigungsbildes davon auszugehen ist, dass sich ein Unfall ereignet hat, verbleibt es bei der Leistung des Vollkaskoversicherers, selbst wenn der Versicherungsfall sich nicht so ereignet haben kann, wie der Kläger vorträgt.

 Die Unfreiwilligkeit des Unfallgeschehens gehört nicht zum Unfallbegriff, sondern zum Vorsatz, für den der Versicherer beweispflichtig ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.03.2006, 12 U 292/05).
Bei Überlagerung von Vorschäden durch einen versicherten Kaskoschaden trägt der Versicherungsnehmer die volle Beweislast für die Abgrenzung der Altschäden (OLG Koblenz, Beschluss v. 14.05.2009, 10 U 1163/08).

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium