Messgerät Leivtec XV3 zu ungenau für Bußgelder und Fahrverbote?

Die Abweichungen, die der Geschwindigkeitsmesser "Leivtec XV3" liefert, scheinen so groß, dass nicht von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden kann. Jetzt müssen Sachverständige entscheiden, ob die ermittelte Geschwindigkeitsüberschreitung eines Autofahrers Bestand hat.

37 Stundenkilometer zu schnell war ein Autofahrer angeblich auf einer Autobahn unterwegs, als er von einem Messgerät (Leivtec XV3, Software 2.0) erfasst wurde. 117 Kilometer/h soll er gefahren sein anstatt der zulässigen 80 Stundenkilometer.

Amtsgericht verhängte 140 Euro Geldbuße und einen Monat Fahrverbot

Das Amtsgericht verurteilte den Mann im Dezember 2020 zu einer Geldbuße von 140 Euro. Zudem entzog es ihm den Führerschein für einen Monat. Gegen dieses Urteil legte der Mann Rechtsbeschwerde ein. Das OLG Celle hat das Urteil aufgehoben. Grund dafür war das eingesetzte Messgerät Leivtec XV3, dessen Zuverlässigkeit das Gericht als nicht gewährleistet angesehen hat.

Was ist ein standardisiertes Messverfahren?

Zwar handele es sich bei dem Messgerät grundsätzlich um ein standardisiertes Messverfahren – standardisiert ist ein durch Regelungen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGH, Beschluss v. 19.8. 1993, 4 StR 627/92).

OLG: Messgerät erfüllt Anforderungen an standardisiertes Messverfahren nicht

Das Messgerät Leivtec XV3 erfülle diese Anforderungen derzeit aber nicht, so das Gericht. Denn bereits im Oktober 2020 hatte die Physikalisch-Technische Bundesanstalt den Verdacht gemeldet, dass das Gerät möglicherweise in sehr speziellen Konstellationen für manche Fahrzeugtypen Ergebnisse mit unzulässig hohen Messwertabweichungen ausgeben könnte. Versuche von Sachverständigen hatten zudem gezeigt, dass es durchaus Konstellationen gebe, in denen das Messgerät Ergebnisse liefert, die zu Ungunsten des Betroffenen ausfallen können.

Bundesanstalt hatte Ungenauigkeiten beim Überprüfen des Messgeräts Leivtec XV3 festgestellt

Letztlich hätten die Versuchsreihen der Bundesanstalt mit dem Messgerät ergeben, dass unzulässige Messwertabweichungen sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten der Betroffenen möglich seien, die außerhalb des Toleranzbereiches liegen. Bereits dieser Umstand stelle das Vorliegen eines standardisierten Messverfahrens in Frage.

Bei sämtlichen Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät Leivtec XV3 liege derzeit kein vereinheitlichtes technisches Verfahren mehr vor, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten seien, so das OLG.

Geschwindigkeitsverstoß durch Messergebnisse nicht tragfähig belegt

Konsequenz: Da es sich im vorliegenden Fall nicht um eine Geschwindigkeitsmessung im standardisierten Messverfahren handelte, wurde die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung von 37 km/h nicht tragfähig belegt. Das Amtsgericht muss deshalb mithilfe eines Sachverständigen prüfen, ob es bei der vorliegenden Geschwindigkeitsmessung zu unzulässigen Messwertabweichungen gekommen sein könnte.

(OLG Celle, Beschluss v. 18.06.2021, 2 Ss (Owi) 69/21).

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Hintergrund: Standardisierten Messverfahren

Beim standardisierten Messverfahren kann sich der Tatrichter ohne sich aus dem Fall selbst ergebende oder von dem Betroffenen geltend gemachte Besonderheiten im Urteil darauf beschränken, das gewählte Messverfahren, die ermittelte Geschwindigkeit, die gewährte Toleranz (hierauf verzichten die Oberlandesgerichte teils, wenn die Bezeichnung des Messgeräts hinreichend genau ist, sich also hieraus die zu gewährende Toleranz ergibt) und die so ermittelte vorwerfbare Geschwindigkeit zu benennen.

Weitere Darlegungen sind nur erforderlich, wenn sich Besonderheiten/Unregelmäßigkeiten aus der Akte ergeben oder von dem Betroffenen geltend gemacht werden, wobei hier eine pauschale Behauptung ins Blaue hinein unerheblich ist. Gleichwohl muss sich der Tatrichter im Einzelfall von der Beachtung der Verfahrensbestimmungen überzeugen (OLG Dresden, Beschl. v. 10.12.2003 – Ss (OWi) 654/03). Es müssen also konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Anweisungen über den Einsatz des Messgeräts nicht eingehalten worden sind oder Messfehler von dem Betroffenen oder einem anderen Verfahrensbeteiligten (konkret) behauptet werden (BGH, Beschluss v. 19.8.1993, 4 StR 627/92).

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium

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