Leichte Demenz rechtfertigt Entzug der Fahrerlaubnis nicht

Das Gedächtnis eines Autofahrers war aufgrund einer Demenzerkrankung deutlich eingeschränkt. Ansonsten hielten sich die kognitiven Beeinträchtigungen aber in Grenzen. Für einen Führerscheinentzug reicht das nicht, hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein entschieden. Dazu wären außerdem auch umfangreiche ärztliche neurologische oder psychiatrische Untersuchung erforderlich.

Einem an Demenz erkrankten Mann wurde die Fahrerlaubnis entzogen. Die Behörde stützte sich dabei auf einen sogenannten Mini-Mental-Status-Test und auf eine Stellungnahme der Amtsärztin. Eine umfangreiche ärztliche neurologische oder psychiatrische Untersuchung war hingegen nicht durchgeführt worden.

Gerichte lehnen Entzug der Fahrerlaubnis ab

Gegen diesen Entzug des Führerscheins wehrt sich der Betroffene. Mit Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein bestätigte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts wonach dem Mann auf Basis der vorliegenden Gutachten die Fahrerlaubnis nicht entzogen werden darf .

Nur leichte kognitive Beeinträchtigungen diagnostiziert

Fachärztlich diagnostiziert sei bei dem Mann lediglich eine leichte kognitive Beeinträchtigung worden, die den chronischen hirnorganischen Psychosyndromen im Sinne der Ziffer 7 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung zuzuordnen sei. Diese schließe in einer leichten Ausprägung – wie sie nach der Aktenlage nach wie vor vorliege – die Fahreignung nicht kategorisch aus. Die festgestellte Beeinträchtigung führe lediglich zu einer bedingten Fahreignung, der durch die Anordnung von Auflagen Rechnung getragen werden müsse.

Autospiegel zeigt Autos auf Autobahn

Kein Entzug des Führerscheins ohne umfangreiche persönliche Untersuchungen möglich

Das Gericht wies darauf hin, dass die Beurteilung, ob jemand zum Führen von Fahrzeugen geeignet sei, in solchen Fällen individuell erfolgen müsse und dass dazu eine umfangreiche persönliche Untersuchung des Inhabers der Fahrerlaubnis notwendig sei. Dies sei im vorliegenden Fall nicht ansatzmäßig geschehen. So habe die Amtsärztin für ihre Stellungnahme lediglich die medizinisch relevanten Aktenbestandteile ausgewertet, ohne den Betroffenen selbst zu untersuchen.

Keine Hinweise auf Verschlechterung des kognitiven Zustands

Auch die letzten vorliegenden fachärztlichen Untersuchungen vom Januar 2021 deuteten nicht darauf hin, dass der Mann nicht mehr geeignet war, Fahrzeuge zu führen. In dem Gutachten wurde unter anderem ausgeführt, dass der Mann aktuell adäquat und reflektionsfähig erscheine. Im Verhalten sei er im Tempo flott, nicht verlangsamt und könne in Reaktion und Sprache adäquat und korrekt reagieren. Dies deute nicht auf eine Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten hin, die die Amtsärztin dem Mann unterstellte.

Schlechtes Gedächtnis reicht nicht für Führerscheinentzug

Das Gedächtnis des Mannes sei zwar stark eingeschränkt. Ob und inwieweit daraus aber eine Einschränkung der Fahreignung folge, lege das amtsärztliche Gutachten aber nicht dar. Unklar sei ebenfalls, wie der Gutachter zu der Einschätzung gekommen sei, dass der Mann Fahrzeuge nur noch in Begleitung seiner Lebensgefährtin führen könne.

Amtsarzt darf seine Einschätzung nicht allein auf Aktenstudium aufbauen

Fazit: Aus der knappen, lediglich nach einem Aktenstudium gefertigten, Stellungnahme des amtsärztlichen Dienstes vom 19. März 2021 ergibt sich nicht nachvollziehbar, dass sich der Mann als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Insbesondere bei der Einschätzung, dass das Stadium einer mittelschweren Demenz bald erreicht sein dürfte, handelt es sich um eine reine Vermutung, die den Entzug der Fahrerlaubnis nicht rechtfertigt.

(Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss v. 22.07.2021, 5 MB 16/21).

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Hintergrund: Krankheiten und Fahrerlaubnis

Die in den Hauptabschnitten der Anlage 4 zur FeV gelisteten Krankheiten und Mängel lauten:

Nr. 1

mangelndes Sehvermögen (Verweis auf Anlage 6)

Nr. 2

hochgradige Schwerhörigkeit

Nr. 3

Bewegungsbehinderungen

Nr. 4

Herz- und Gefäßkrankheiten

Nr. 5

Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)

Nr. 6

Krankheiten des Nervensystems

Nr. 7

Psychische (geistige) Störungen

Nr. 8

Alkohol

Nr. 9

Betäubungsmittel, andere psychoaktiv wirkende Stoffe und Arzneimittel

Nr. 10

Nierenerkrankungen

Nr. 11

Verschiedenes (u.a. Tagesschläfrigkeit)

Wichtig: Die in Anlage 4 durch Benennung bestimmter Krankheiten und Mängel vorgenommenen Bewertungen gelten für den Regelfall. Kompensationen durch besondere menschliche Veranlagung, durch Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und -Umstellungen sind möglich und gegebenenfalls zu berücksichtigen (VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 14.09.2004, 10 S 1283/04).

Schlagworte zum Thema:  Fahrerlaubnis, Verkehrsrecht