Haftung für einen Unfall beim rückwärts Ausparken

Wer auf Parkplätzen rückwärts ausparkt, muss besonders vorsichtig sein, um die daraus entstehende Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Ohne einen Blick über die Schulter bzw. in die Rückwärtskamera droht im Falle eines Unfalls die komplette Haftung.

Eine Unfallbeteiligte wollte rückwärts einparken und rangierte dabei vor dem Stellplatz, von dem ein andere Autofahrer gerade rückwärts ausparken wollte. Dabei kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge. Das Landgericht München hatte die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der einparkenden Fahrerin mit einer Haftungsquote von 25 Prozent berücksichtigt. Das OLG München kam zu einer anderen Einschätzung.

Rückwärts Ausparkender hätte Unfall vermeiden können

Der beklagte Autofahrer, der gerade dabei war, rückwärts aus seinem Parkplatz herauszufahren, hätte die klagende Fahrerin erkennen und durch ein Anhalten den Unfall vermeiden können, so das OLG. 

Der Fahrer des ausparkenden Fahrzeugs habe gegen die Vorschrift des § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, die ergänzend im Lichte der Rechtsgedanken des § 9 Abs. 5 StVO

"Wer ein Fahrzeug führt, muss sich beim Abbiegen in ein Grundstück, beim Wenden und beim Rückwärtsfahren darüber hinaus so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen"

auszulegen sei. Danach muss sich ein Verkehrsteilnehmer so verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert oder belästigt wird.

Autofahrer müssen auf Parkplätzen besonders vorsichtig fahren

Da auf Parkplätzen stets mit ausparkenden und rückwärtsfahrenden Fahrzeugen zu rechnen sei, müssen Kraftfahrer hier so vorsichtig fahren, dass sie jederzeit anhalten können. Dies gilt insbesondere für den rückwärtsfahrenden Verkehrsteilnehmer. Bei ihm ist wegen seines eingeschränkten Sichtfeldes die besondere Gefährlichkeit des Rückwärtsfahrens mit einzubeziehen.

Der rückwärts Ausparkende hatte angegeben, dass er den Rückwärtsgang eingelegt und die Rückwärtskamera aktiviert hatte und nur wegen des Hupens der Klägerin angehalten habe. Daraus folgerte das Gericht, dass sich der Mann während der Rückwärtsfahrt weder umgedreht noch alternativ in den Bildschirm der Rückwärtskamera geschaut hatte.

Einparkende Autofahrerin hätte Unfall nicht vermeiden können

In diesem Verhalten sah das Gericht einen schweren Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO. Die Haftung der klagenden Fahrerin aus Betriebsgefahr trete dahinter vollständig zurück. Das Gericht sah also keinen Verursachungsbeitrag der Klägerin. Hierbei müsse auch berücksichtigt werden, dass der Unfall für die Klägerin ab dem Zeitpunkt, zu dem sie sich mit ihrem Auto hinter dem Fahrzeug des Ausparkenden befunden hatte, nicht mehr vermeidbar im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war.

Autofahrer haben die freie Wahl, ob sie vorwärts oder rückwärts einparken wollen

Der Klägerin könne auch nicht vorgeworfen werden, dass sie in den Bereich hinter dem Beklagtenfahrzeug gefahren sei, um rückwärts einzuparken. Ihr habe es grundsätzlich freigestanden, vorwärts oder rückwärts einzuparken, solange sie vorsichtig und dem Parkplatz angemessen rangiert habe. Das Gericht kam zu der Einschätzung, dass es nicht nachgewiesen werden konnte, dass die Frau zu dem Zeitpunkt, zu dem sie hinter dem Fahrzeug des Beklagten stand, erkennen konnte, dass dieser gerade dabei ist auszuparken. Entsprechend haftet der rückwärts Ausparkende zu 100 Prozent für den Schaden.

(OLG München, Urteil v. 1.12.2021, 10 U 1833/21).

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Hintergrund: Rückwärts fahren

Ein rückwärts fahrender Verkehrsteilnehmer hat sich bei seinem gefährlichen Fahrmanöver so zu vorhalten, dass eine Gefährdung anderer ausgeschlossen ist (§ 9 Abs. 5 StVO). Dafür ist es erforderlich, dass dem Rückwärtsfahrer von seinem Fahrersitz aus einsichtbarer und mit Gewissheit befahrbarer freier Raum zur Verfügung steht (vgl. BGH VRS 29, 275; BGH VRS 31, 440; OLG Karlsruhe VRS 48, 194, 197; OLG Nürnberg VRS 80, 90). Daher hat sich der Rückwärtsfahrende vor Beginn der Rückwärtsfahrt davon zu überzeugen, dass auch solche Teile des Weges, den er in der Rückwärtsfahrt einschlagen will, frei von Hindernissen sind, insb. kein toter Winkel verbleibt (vgl. BayObLG VRS 52, 297, 298; OLG Düsseldorf VRS 87, 47).

Auch für die eingeschlagene Rückwärtsfahrt gilt ein hoher Sicherheitsstandard: Nur unter ständiger Beobachtung des rückwärtigen Verkehrs und mit sofortiger Fähigkeit und Bereitschaft zum Anhalten für den Fall, dass in der Strecke des Rückwärtsfahrens ein anderer Verkehrsteilnehmer erkennbar ist, darf er sein Fahrzeug zurück setzen (vgl. BayObLG VRS 52, 297, 298; Heidelberger Kommentar Straßenverkehrsrecht, herausgegeben von Diehl/Walther u.a., 2. Aufl., § 9 StVO Rn 18). Aus: Deutsches Anwalt Office Premium

Mitverschulden

Ein Mitverschulden des Verletzten i. S. v. § 254 Abs. 1 BGB ist anzunehmen, wenn dieser diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt. Er muss sich "verkehrsrichtig" verhalten, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung bestimmt, sondern durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar ist, um diese Gefahr möglichst gering zu halten.

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium

Schlagworte zum Thema:  Verkehrsunfall, StVO