Grundsätze zum Werkstattrisiko auch bei Sachverständigenrisiko

Auch überhöhte Kostenansätze eines Kfz-Sachverständigen im Rahmen einer Unfallabwicklung sind dem Geschädigten vom Unfallverursacher zu erstatten. Dieser Grundsatz gilt nicht gegenüber dem Sachverständigen selbst.

In einer aktuellen Grundsatzentscheidung hat der BGH die zu Beginn des Jahres in mehreren ergangenen Urteilen entwickelten Grundsätze zum sogenannten Werkstattrisiko auf das Sachverständigenrisiko übertragen. Das bedeutet, dass der Geschädigte grundsätzlich nicht das Risiko trägt, dass der Sachverständige überhöhte Kostenansätze für die Begutachtung des Unfallschadens in Rechnung stellt.

Kostenposition „Schutzmaßnahmen für Corona“ streitig

Im jetzt entschiedenen Fall haftete die beklagte Haftpflichtversicherung des Unfallgegners unstreitig in vollem Umfange für den Ersatz des entstandenen Schadens. Der Geschädigte hatte ein Sachverständigenbüro mit der Begutachtung des verunfallten Pkw beauftragt und seine Ansprüche auf Ersatz der Gutachterkosten an die Inhaberin des Sachverständigenbüros abgetreten. Die Haftpflichtversicherung ersetzte die von dem Sachverständigenbüro in Rechnung gestellten Kosten mit Ausnahme der Position „Zuschlag Schutzmaßnahmen Corona“. Hier hatte der Sachverständige einen Betrag von 20 EUR für Desinfektionsmittel, Reinigungstücher und Einmalhandschuhe in Rechnung gestellt.

Revision gegen Abweisung der 20-Euro-Klage hatte beim BGH Erfolg

Die Inhaberin des Sachverständigenbüros forderte diesen eher geringfügigen Betrag aus grundsätzlichen Erwägungen gerichtlich ein und scheiterte über 2 Instanzen. Die Gerichte waren der Auffassung, die streitige Rechnungsposition sei nicht gerechtfertigt. Die Revision der Klägerin hatte nun beim BGH Erfolg.

Grundsätze zum Werkstattrisiko gelten auch für Sachverständigenrisiko

Der BGH stellte klar, dass der Unfallgeschädigte grundsätzlich berechtigt war, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen. Den Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten seien im Hinblick auf die Vorgehensweise eines Kfz-Sachverständigen Grenzen gesetzt. Geschädigte seien regelmäßig nicht in der Lage, die Vorgehensweise ihres Sachverständigen und die von ihm in Rechnung gestellten einzelnen Rechnungspositionen fachlich zu beurteilen. Vielmehr seien hier die Grundsätze anzuwenden, die der Senat im Hinblick auf möglicherweise überhöhte Kostenrechnungen einer Fachwerkstatt für die durchgeführte Reparatur eines Fahrzeugs (Werkstattrisiko) Anfang des Jahres aufgestellt hatte.

Geschädigte tragen nicht das Risiko überhöhter Kostenrechnungen

In den Entscheidungen zum sogenannten Werkstattrisiko im Januar hatte der Senat geurteilt, dass der Geschädigte eines Verkehrsunfalls auch dann berechtigt ist, die von einer Werkstatt in Rechnung gestellten Reparaturkosten für die Beseitigung der Unfallschäden vom Unfallverursacher zu verlangen, wenn der Verursacher einwendet, die von der Werkstatt gestellte Rechnung sei überhöht. Der BGH begründet seine Entscheidung folgendermaßen: Die Schadensbeseitigung in einer Werkstatt finde in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre statt. Geschädigten fehle in der Regel das notwendige Fachwissen, um die Berechtigung einzelner Rechnungspositionen zu beurteilen. Gegebenenfalls könne allerdings der Schädiger nach dem Prinzip des Vorteilsausgleichs vom Geschädigten die Abtretung möglicher Ansprüche gegen die Reparaturwerkstatt verlangen (BGH, Urteile v. 16.1.2024, VI ZR 253/22 u. VI ZR 266/22).

Sachverständigenrisiko wirkt nicht zugunsten des Sachverständigen selbst

Im zweiten Schritt ist nach der Entscheidung des BGH im konkreten Fall allerdings zu berücksichtigen, dass ein Sachverständiger als Zessionar sich selbst nicht auf das Sachverständigenrisiko berufen kann. Auch eine Werkstatt als Zessionar könne sich nicht selbst auf die Grundsätze zum Werkstattrisiko berufen (BGH, Urteil v. 16.1.2024, VI ZR 239/22). Dies folge aus dem Rechtsgedanken des § 399 Alt. 1 BGB, da bei wertender Betrachtungsweise die Grundsätze zum Sachverständigenrisiko dem Geschädigten, nicht aber dem Sachverständigen zugutekommen sollen. Deshalb habe die Klägerin im konkreten Fall darzulegen und zu beweisen, dass die mit der Pauschale abgerechneten Corona-Schutzmaßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden, objektiv erforderlich und die hierfür in Rechnung gestellten Kosten angemessen waren.

Vorinstanz muss erneut entscheiden

Insoweit wies der Senat darauf hin, dass einem Sachverständigen als Unternehmer gewisse Entscheidungsspielräume hinsichtlich seines individuellen Hygienekonzepts während der Corona-Pandemie einzuräumen waren, da er sowohl den Schutz seiner Mitarbeiter als auch den Schutz des Auftraggebers im Auge haben musste. Da hierzu noch tatsächliche Feststellungen fehlten, hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies den Rechtsstreit zur weiteren Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

(BGH, Urteil v. 12.3.2024, VI ZR 280/22)