EuGH: Fahrgastrechte im Schiffsverkehr

Der EuGH hat in einer Grundsatzentscheidung die Fahrgastrechte bei einer Annullierung von Schiffsüberfahrten - im konkreten Fall zwischen Irland und Frankreich - näher definiert.

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Rechtsstreit stritten sich die irische Schifffahrtsgesellschaft „Irish Ferries Ltd“ und die nationale Transportbehörde Irlands „National Transport Authority“ (NTA) über die Anwendung und Auslegung der EU-Fahrgastrechteverordnung im Schiffsverkehr.

Beförderungsannullierungen wegen verspäteter Schiffslieferung

Irish Ferries erbringt Personenverkehrsdienste zwischen Häfen in Irland, im Vereinigten Königreich und Frankreich. Im Jahr 2018 sollte eine neue Strecke zwischen Dublin und Cherbourg eingerichtet werden. Das von Irish Ferries hierfür in Auftrag gegebene Schiff wurde von der Werft verspätet geliefert, so dass Irish Ferries gezwungen war, die bereits in einer großen Zahl gebuchten Überfahrten für die gesamte Sommersaison 2018 zu annullieren. Sämtliche Fahrgäste wurden mindestens sieben Wochen vor dem vorgesehenen Abfahrtstermin über die Annullierung in Kenntnis gesetzt.

Irish Ferries bot den Fahrgästen keine vollwertigen Ersatzbeförderungen an

Das Schifffahrtsunternehmen bot den betroffenen Fahrgästen wahlweise an, sie entweder in andere Häfen zu befördern (mit der Möglichkeit einer anschließenden Fahrt über Land zum gewünschten Reiseziel) oder die geleistete Zahlung für den Fahrschein vollständig zu erstatten.

Irish Ferries klagt gegen NTA-Bescheid

Hierauf stellte die NTA in einem formellen Bescheid fest, dass Irish Ferries mit seinem Angebot an die von der Annullierung betroffenen Fahrgäste seiner Pflicht zur anderweitigen Beförderung und Entschädigung gemäß der EU-Fahrgastrechteverordnung für den Schiffsverkehr nicht hinreichend nachgekommen ist. Gegen diesen Bescheid klagte Irish Ferries vor dem High Court in Irland, der das Verfahren aussetzte und dem EuGH mehrere Fragen zur Anwendung und Auslegung der EU-Fahrgastrechteverordnung für den Schiffsverkehr zur Beantwortung vorlegte.

EU-Fahrgastrechteverordnung findet Anwendung auch im Fährverkehr

Der EuGH hat nun klargestellt, dass die EU-Verordnung Nr. 1177/2010 über Fahrgastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr grundsätzlich auch für den Schiffsfährverkehr gilt. Der in der EU-Verordnung verwendete Begriff der „Reise“ sei zu Gunsten der Reisegäste weit auszulegen und umfasse deshalb auch den Schiffsfährverkehr. 

Wahlrecht der Fahrgäste zwischen anderweitiger Beförderung und Fahrpreiserstattung

Die EU-Fahrgastrechteverordnung gewährt nach der Entscheidung des EuGH im Fall der Annullierung einer Reise mehrere Wochen vor dem vorgesehenen Abfahrtstermin den Fahrgästen grundsätzlich ein Wahlrecht dahingehend, ob sie das Endziel durch eine anderweitige Beförderung erreichen oder auf ihre Beförderung verzichten wollen, indem sie Erstattung des Fahrpreises beantragen.

Verspätete Schiffslieferung schließt Fahrgastrechte nicht aus

In seiner Entscheidung stellte der EuGH klar, dass die Geltendmachung der vollen Fahrgastrechte entgegen der Auffassung von Irish Ferries nicht daran scheitert, dass das für die neue Strecke Dublin/Cherbourg eingeplante Schiff von der beauftragten Werft verspätet geliefert wurde. Die verspätete Lieferung sei kein außergewöhnlicher Umstand, der den Beförderer entlastet. Außergewöhnliche Umstände, die zu einer Begrenzung der Fahrgastrechte nach der EU-Fahrgastrechteverordnung führen können, seien nur solche, die außerhalb des üblichen Tätigkeitsbereichs des Beförderers entstehen und von diesem nicht beherrschbar sind. Die Bestellung eines neuen Schiffes sei ein üblicher, zum Tätigkeitsbereich des Beförderers gehörender Vorgang. Eine Beschneidung der nach der Verordnung vorgesehenen Fahrgastrechte komme daher nicht in Betracht.

Präzisierungen des EuGH

Im Einzelnen stellte das Gericht zur EU-Verordnung Nr. 1177/2010 dann noch einige Auslegungsfragen klar:

  • Der Beförderer ist im Fall einer Annullierung bereits gebuchter Überfahrten einige Wochen vor dem vorgesehenen Reisetermin verpflichtet, dem Fahrgast eine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Bedingungen und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über einen alternativen Verkehrsdienst auf der gleichen oder einer anderen Strecke gegebenenfalls unter Zuhilfenahme von Straßen- und Schienenverkehr anzubieten.
  • Die für die Ersatzbeförderung entstehenden zusätzlichen Kosten hat der Beförderer zu tragen.
  • Erreicht der Fahrgast infolge der Annullierung sein Reiseziel verspätet, so stehen ihm die nach Art. 19 der EU-Fahrgastrechteverordnung für den Schiffsverkehr vorgesehene Entschädigungsleistungen zu (zwischen 25 % und 50 % des Fahrpreises, gestaffelt nach Verspätung und regulärer Beförderungsdauer).
  • Der Anspruch auf Entschädigung entfällt, wenn der Fahrgast sich für die Erstattung des Fahrpreises entscheidet.
  • Die Pflicht zur Erstattung des Fahrpreises umfasst auch die Kosten für vom Fahrgast gewählte zusätzliche Sonderleistungen, wie die Buchung einer Kabine oder den Zugang zu Premium-Lounges.
  • Der Fahrgast ist im Fall einer solchen Annullierung nicht gemäß Art. 24 der EU-Fahrgastrechteverordnung für den Schiffsverkehr verpflichtet, einen Antrag auf Entschädigung gemäß Art. 19 Fahrgastrechteverordnung innerhalb von zwei Monaten nach der tatsächlichen oder geplanten Durchführung des Verkehrsdienstes in Form einer Beschwerde beim Beförderer einzureichen.

Die Entscheidung bedeutet eine Stärkung der Fahrgastrechte

Im Ergebnis hat der EuGH mit seiner Entscheidung durch eine weite Auslegung des Reisebegriffes einerseits und eine enge Auslegung des Begriffs des außergewöhnlichen Umstandes, der den Beförderer von seinen Pflichten entlastet, die Rechte der Fahrgäste im Rahmen des Schiffsverkehrs und des Schiffsfährverkehrs deutlich gestärkt.


(EuGH, Urteil v. 2.9.2021, C-570/19)


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