Anspruch auf Fahrradreparatur über dem Wiederbeschaffungswert

Ein geschädigter Radfahrer kann – was bisher nur für beschädigte Kfz anerkannt war – ebenfalls bei einem Totalschaden den Ersatz von Reparaturkosten beanspruchen, obwohl sie über den Wiederbeschaffungskosten liegen. Allerdings gelten auch für ihn die Einschränkungen der 130-Prozent-Regelung für Kfz-Unfallhaftung.

Ein Radfahrer wurde von einem Auto angefahren, das Rennrad war nach dem Zusammenstoß komplett lädiert.

Bei Totalschaden haben Radfahrer die gleichen Ansprüche wie Autofahrer

Die Haftung der Beklagten war dem Grunde nach zwischen den Parteien unstreitig. Der zugezogene Sachverständige konstatierte einen wirtschaftlichen Totalschaden. Im Streit mit der Haftpflichtversicherung des Autofahrers, der den Unfall verursacht hatte, ging es darum, welche Kosten die Versicherung übernehmen muss.

Versicherung weigerte sich, Reparaturkosten zu erstatten

Es handelte sich um kein ganz billiges Fahrrad:

  • Der geschädigte Radfahrer wollte die Reparaturkosten erstattet bekommen. Diese lagen bei gut 3.832 EUR.
  • Der Haftpflichtversicherer wollte auf Basis des Totalschadens abrechnen.

Für Kraftfahrzeuge entwickelten höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Reparatur trotz Totalschaden

Auch ein geschädigter Radfahrer kann - ebenso wie ein Kfz-Halter - im Falle eines Totalschadens die voraussichtlichen Reparaturkosten verlangen, zuzüglich einer eventuellen Wertminderung. Dieser Anspruch besteht jedoch nur,

  • wenn der die Summe der Ansprüche den Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30 % übersteigt.
  • Die Reparaturkosten in Höhe von maximal 130 % des Wiederbeschaffungswertes werden auch nur ersetzt, wenn die Reparatur tatsächlich und fachgerecht durchgeführt wurde.
  • Eine Teilreparatur ist nicht ausreichend.

Wird ein Fahrzeug nach einem Unfall nicht vollständig und fachgerecht repariert, entsteht kein Anspruch auf Erstattung von Reparaturkosten, die den Wiederbeschaffungswert übersteigen.

OLG München wendet Kfz- Rechtsprechung zum Totalschaden auch auf Fahrräder an

Fraglich war bisher, ob die bei Kraftfahrzeugen entwickelten Grundsätze zur 130-Prozent-Abrechnung auch bei Fahrrädern gilt.

Nach Auffassung des OLG München ist die zu schwer beschädigten Kraftfahrzeugen ergangene Rechtsprechung auch auf ein nahezu vollständig beschädigtes Rennrad übertragbar. Entgegen der Ansicht der klagenden Versicherung

  • gebe es keinen Grund, bei Fahrrädern,
  • die in den letzten Jahren ebenso wie Kraftfahrzeuge eine stetige technische Weiterentwicklung vollzogen hätten,
  • die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für Kraftfahrzeuge nicht anzuwenden.

Reparaturkosten überstiegen Wiederbeschaffungskosten um mehr als Zweieinhalbfache

In dem vorliegenden Fall nützte diese Einschätzung dem klagenden Rennradfahrer jedoch nichts. Denn der zugezogene Sachverständige kam zu der Einschätzung, dass der Wiederbeschaffungswert des Fahrrades bei 1.447 Euro lag. Die vom Kläger geltend gemachten, fiktiven Reparaturkosten in Höhe von 3.832 Euro lagen damit weit über der zulässigen Höchstgrenze von 130 % des Wiederbeschaffungswertes. Bei diesem Verhältnis spielte es dann auch nur eine untergeordnete Rolle, dass der Wiederbeschaffungswert noch minimal durch den ermittelten Restwert von 28 Euro vermindert werden musste und sich der reduzierte Restwert damit auf 1.419 Euro belief.

Fazit: Der Radfahrer muss auf Totalschadensbasis abrechnen und kann nicht die geltend gemachten Reparaturkosten beanspruchen.

(OLG München, Urteil v. 16.11.2018, 10 U 1885/18).

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Hintergrund:

Für die grundsätzliche Frage, ob eine Abrechnung nach der 130 %-Grenze möglich ist, sind die vom Gutachter ermittelten Reparaturkosten brutto (BGH, Urteil  v. 3.9.2009, ZR 100/08) sowie eine Wertminderung maßgeblich (BGH, Urteil v. 15.10.1991, VI ZR 314/90). Übersteigt die Addition beider den Wiederbeschaffungswert um mehr als 30 %, ist eine Schadensabrechnung nach der 130 %-Rechtsprechung grundsätzlich nicht möglich.

Mit den schadensrechtlichen Grundsätzen des Wirtschaftlichkeitsgebots und des Verbots der Bereicherung ist es grundsätzlich vereinbar. Denn der Eigentümer eines Kraftfahrzeugs weiß, wie dieses ein- und weitergefahren, gewartet und sonst behandelt worden ist, ob und welche Mängel dabei aufgetreten und auf welche Weise sie behoben worden sind. Demgegenüber sind dem Käufer eines Gebrauchtwagens diese Umstände, die dem Fahrzeug ein individuelles Gepräge geben, zumeist unbekannt.

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium

Schlagworte zum Thema:  Verkehrsunfall, Schadensersatz, Versicherung