Neuregelung der Triage bei knappen Intensivressourcen

Schutzbedürftige Menschen mit Behinderung und alte Menschen dürfen nach dem Gesetzentwurf im Fall pandemiebedingter knapper Intensivkapazitäten nicht benachteiligt werden. Die hoch umstrittene Ex-Post-Triage hat keinen Eingang gefunden.

Bis zuletzt war der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Bundesjustizminister Marco Buschmann ausgearbeitete Gesetzentwurf zur Triage hoch umstritten. Die Reform duldet aber keinen Aufschub mehr, denn das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Dezember 2021 die unverzügliche Umsetzung gesetzlicher Regelungen zum Schutz u.a. von Menschen mit Behinderung vor Benachteiligung bei der Verteilung knapper intensivmedizinischer Ressourcen angemahnt.

Gesetzentwurf dient der Umsetzung des Verfassungsgerichtsauftrags

Der mit Beschluss des Bundeskabinetts vom 24.8.2022 auf den Weg gebrachte Gesetzentwurf dient der Umsetzung des Auftrages des BVerfG an den Gesetzgeber, Menschen wirksam vor einer Benachteiligung wegen einer Behinderung im Falle einer Triage zu schützen (BVerfG, Beschluss v. 16.12.2021, 1 BvR 1541/20). Besteht das Risiko, dass Menschen bei der Zuteilung knapper, überlebenswichtiger intensivmedizinischer Ressourcen wegen ihrer Behinderung benachteiligt werden könnten, existiert nach dieser Entscheidung ein verfassungsrechtlicher Schutzauftrag des Staates, eine Diskriminierung dieses Personenkreises zu verhindern.

„Aktuelle kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit“ als entscheidendes Triage-Kriterium

Mit der Umsetzung dieses verfassungsrechtlichen Auftrags hat sich die Bundesregierung bis zuletzt äußerst schwergetan. Das bisher als für zu unklar empfundene Kriterium der mangelnden Erfolgsaussicht einer intensivmedizinischen Behandlung, das zudem mit dem Risiko einer negativen Stereotypisierung verbunden war, hat die Regierung in dem jetzt beschlossenen Gesetzentwurf durch das Kriterium der „aktuellen, kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ ersetzt. Allein anhand dieses Kriteriums soll im Falle mangelnder intensivmedizinischer Ressourcen entschieden werden, wer in den Genuss einer intensivmedizinischen Behandlung kommt und wer nicht.

Triage-Entscheidung als letztes Mittel

BMJ und BMG betonen in der Begründung des Entwurfs, dass eine Zuteilungsentscheidung über eine intensivmedizinische Behandlung nur das letzte Mittel sein kann, wenn alle sonstigen Anstrengungen unternommen wurden, um den Eintritt nicht ausreichend vorhandener, überlebenswichtiger intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten im Fall einer übertragbaren Krankheit zu verhindern. Eine Zuteilungsentscheidung scheide grundsätzlich aus, wenn betroffene Patienten regional oder überregional verlegt und intensivmedizinisch behandelt werden können. Nach dem neu eingeführten Kleeblattkonzept stünden Koordinierungsstellen der Bundesländer in regelmäßigem Austausch, um Patienten in Überlastungssituation gegebenenfalls durch Verlegungen adäquat versorgen zu können.

Die Neuregelung im Einzelnen

Der Kern der Neuregelung besteht in dem neu eingeführten § 5c IfSG. Dieser bestimmt, dass im Fall nicht ausreichend vorhandener überlebenswichtiger intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten infolge einer übertragbaren Krankheit niemand bei der Zuteilung wegen

einer Behinderung, wegen des Grades der Gebrechlichkeit, des Alters, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung

benachteiligt werden darf.

Ex-Post-Triage wird ausdrücklich ausgeschlossen

§ 5c Abs. 2 IfSG nennt die aktuelle, kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit als maßgebliches Kriterium für eine Zuteilung.

  • Bei der Beurteilung der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit dürfen gemäß § 5c Abs. 2 Satz 2 Komorbiditäten nur berücksichtigt werden, soweit sie aufgrund ihrer Schwere oder Kombination die aktuelle krankheitsbezogene kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit erheblich verringern.
  • Behinderungen, Alter und Gebrechlichkeit dürfen nicht berücksichtigt werden.
  • Bereits zugeteilte überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten („Ex-Post-Triage“) sind von der Zuteilungsentscheidung ausdrücklich ausgenommen.

Triage-Verfahrensregeln im Gesetz

Das Gesetz enthält einige Regelungen dazu, wie im Fall einer erforderlichen Triage-Entscheidung zu verfahren ist:

  • § 5c Abs. 4 IfSG begründet Dokumentationspflichten zu den Gründen und den an der Zuteilungsentscheidung beteiligten Personen.
  • Gemäß § 5c Abs. 3 IfSG sind Zuteilungsentscheidungen von 2 Ärzten mit mehrjähriger Erfahrung im Bereich der Intensivmedizin einvernehmlich zu treffen.
  • In Fällen fehlenden Einvernehmens ist eine Mehrheitsentscheidung durch 3 Ärzte erforderlich.
  • Ist ein Patient mit einer Behinderung oder einer Komorbität von der Entscheidung betroffen, muss eine hinzuzuziehende Person mit besonderer Fachexpertise eine gesonderte Einschätzung abgeben, die bei der Zuteilungsentscheidung zu berücksichtigen ist.

Vereinbarkeit des Gesetzentwurfs mit internationalen Regelungen

In der Begründung des Gesetzentwurfs wird ausdrücklich festgestellt, dass die Neuregelung mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie mit Art. 25 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vereinbar ist.

Bundesärztekammer übt Kritik

Die vom Kabinett geplante Reform erfährt Kritik von verschiedenen Seiten. Die Bundesärztekammer kritisiert vor allem die mangelnde Courage der Regierung bei der Problematik der Ex-Post-Triage, die in einem ursprünglichen Gesetzentwurf noch vorgesehen war. Die Ärztekammer befürchtet, dass im Falle mangelnder Intensivkapazitäten behandlungsbedürftige Menschen mit guter Überlebenswahrscheinlichkeit nicht behandelt werden können und möglicherweise sterben müssen, weil Patienten mit äußerst geringer Überlebenswahrscheinlichkeit bereits einen Intensivplatz in Anspruch nehmen.

Ex-Post-Triage bleibt Dauerthema

Juristen weisen darauf hin, dass der Abbruch einer intensivmedizinischen Behandlung bei einem noch lebenden Menschen gegebenenfalls als aktive Tötung zu qualifizieren wäre, auch wenn stattdessen ein Patient mit besseren Überlebenschancen angeschlossen wird. Ärzte befürchten demgegenüber das Risiko einer „Vor-Triage“. Intensivmediziner könnten versucht sein, ein letztes Intensivbett erst gar nicht mit einem Patienten mit nur geringer Überlebenschance zu belegen, wenn sie befürchten müssen, dass dann ein späterer Patient mit besseren Überlebenschancen keiner Intensivbehandlung unterzogen werden könnte.

Bundesregierung unter Zugzwang

Ob der Gesetzentwurf die parlamentarischen Hürden angesichts der umfangreichen Kritikpunkte unverändert durchlaufen wird, bleibt abzuwarten. Die Vorgabe des BVerfG zu einer unverzüglichen Neuregelung der Triage setzt den Gesetzgeber jedenfalls unter erheblichen Zeitdruck.

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