Österreich: Amtshaftungsklagen wegen Behördenversagens

Wegen zu zögerlicher Behördenreaktionen auf den Ausbruch des Coronavirus in den Skigebieten in Tirol hat der Verbraucherschutzverein „VSV“ eine „Amtshaftungs-Anklageschrift“ gegen die österreichische Bundesregierung und die Tiroler Landesregierung beim Wiener Landesgericht eingereicht. 6.000 betroffene Touristen haben sich bereits beim „VSV“ gemeldet, ca. 4.000 davon aus Deutschland. Etwa 1.000 haben bisher ihre Bereitschaft zu einem Beitritt zur Klage erklärt.

Der österreichische Verbraucherschutzverein (VSV) wirft den Behörden vor, falsch und insbesondere zu spät auf die sich abzeichnende Pandemie reagiert zu haben. Skigebiete seien aus kommerziellen Interessen bewusst zu spät geschlossen worden.

Schließungen von Gaststätten und Hotels wider besseres Wissen hinausgezögert?

Besonders betroffen sind die Orte und Regionen Ischgl, das Paznauntal, St. Anton am Arlberg, Sölden und das Zillertal. Der Skiort Ischgl hat 1.600 Einwohner und 10.000 Übernachtungsbetten. In der Skisaison herrscht hier heilloses Gedränge - ideale Bedingungen und ein Tummelplatz für Viren.

Der Vorwurf des VSV lautet: Viele Ski-Gebiete seien aus Profitinteressen zu spät geschlossen worden. Außerdem seien die Schutzmaßnahmen unkoordiniert erfolgt. Der Vorwurf geht so weit, dass die Behörden im Interesse der Aufrechterhaltung des Tourismusbetriebs dringend notwendige Sperren von Gaststätten und Hotels bewusst hinausgezögert hätten. 

Der zeitliche Ablauf

Anfang März hatten isländische Behörden acht Rückkehrer aus Ischgl positiv auf Corona getestet. Über das europäische Frühwarnsystem schickten isländische Behörden in der Nacht vom 4. auf den 5. März eine Warnung an das Gesundheitsministerium in Wien mit dem Hinweis auf acht nachgewiesene Infektionsfälle. Am 7. März wird ein Barkeeper der durch die massiven Infektionszahlen berühmt gewordenen Bar „Kitzloch“ in Ischgl positiv auf das Virus getestet. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich ca. 11.000 ausländische Touristen im Paznauntal, zu dem auch Ischgl gehört.

Après-Ski-Lokale schließen, der Skibetrieb geht weiter

Am 10. März schließen die Behörden darauf sämtliche Après-Ski-Lokale im Paznauntal, die Skilifte bleiben weiter in Betrieb. Am 13. März informiert der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter die Tiroler Landesregierung. Kurz darauf wird das Paznauntal zum Quarantänegebiet erklärt. Die Touristen werden aufgefordert, das Land umgehend zu verlassen.

Tausende Touristenrückkehrer verbreiten Corona in Europa

In den folgenden Tagen treten Tausende von Touristen ungehindert die Rückreise an und schleppen auf diese Weise das Virus quer durch Europa. Betroffen sind vor allem Deutschland, die Niederlande, Großbritannien sowie die skandinavischen Länder.

Après-Ski-Partys trotz Corona-Verdacht

Der VSV wirft den Behörden vor, falsch bzw. zu spät reagiert zu haben. Der Verein hatte zunächst bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck eine „Sachverhaltsdarstellung“ eingebracht, die belegen soll, dass die Vorwürfe berechtigt sind und die Tiroler Behörden die Sperren von Hotels und Pisten bewusst hinausgezögert hätten. Spätestens seit dem 5. März hätten die Behörden gewusst, dass insbesondere im Skiort Ischgl eine hohe Ansteckungsgefahr herrschte. Trotz der Warnungen liefen Wintersport und Apres-Ski-Partys nicht nur in Ischgl weiter.

StA ermittelt wegen Gesundheitsgefährdung

Die seitens des VSV eingereichte Anzeige betrifft den Vorwurf der fahrlässigen und vorsätzlichen Gemeingefährdung, des Missbrauchs von Amtsgewalt und richtet sich unter anderem gegen den für Tourismus zuständigen Landeshauptmann (ÖVP), gegen zwei Landräte, sowie gegen mehrere Bürgermeister und drei Seilbahnverbände und die Betreiberin der Bar „Kitzloch“. Die StA hat offiziell ein Ermittlungsverfahren wegen des „Verdachts der fahrlässigen Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten“, bisher allerdings gegen Unbekannt, eingeleitet.

So begründet der VSV die „Amtshaftungs-Anklageschrift“

Die vom VSV beim Wiener Landesgericht eingereichte „Amtshaftungs-Anklageschrift“ stützt sich im Wesentlichen auf 3 konkrete Vorwürfe:

  • Trotz konkreter Hinweise auf die hohe Ansteckungsgefahr spätestens zum 7.3.2020 sei das Paznauntal danach noch eine ganze Woche bis zum 13.3.2020 für Touristen komplett offen gewesen, obwohl die Schließung spätestens am 7. März dringend geboten gewesen wäre.
  • Die Aufrechterhaltung des Ski-Betriebs bis zum 13. März beruhe auf rein wirtschaftlichen Gründen.
  • Die Bundesregierung und nicht zuletzt Bundeskanzler Sebastian Kurz hätten durch die abrupte Verhängung der Quarantäne am 13. März ein Chaos unter den Touristen und darauffolgend ein regelrechtes Abreisedesaster ausgelöst. In der Folge sei das Virus in weiten Teilen Europas verbreitet worden.

Bisher noch keine Sammelklage

Der VSV hat aus Vorsichtsgründen zunächst nur für wenige Betroffene geklagt. Der VSV will vorab die Erfolgsaussichten der Klage ausloten, dann aber gegebenenfalls die Klage ausweiten. Um eine Sammelklage, die in Österreich gesetzlich zulässig ist, handelt es sich bei den bisherigen Verfahren noch nicht. Eine spätere Sammelklage hat der Verein aber ausdrücklich ins Auge gefasst. Im Unterschied zur deutschen MuFeKl ist das österreichische Pendant eine echte Sammelklage und führt im Erfolgsfall unmittelbar zu einem echten Zahlungstitel. Gegenstand der Klage können sowohl der Ersatz immaterieller Schäden (Schmerzensgeld) als auch der Ersatz von Vermögensschäden (Einnahmeausfälle infolge einer Quarantäneanordnung oder einer Ansteckung) sein.

Verfahrensanschluss ist Betroffenen mit geringem Kostenaufwand möglich

Geschädigte können ihren Fall unter „www.Verbraucherschutzverein.at“ darstellen und Gedächtnisprotokolle einreichen. Sie werden dann über den weiteren Weg zur Sammelklage informiert und können sich ggflls. anschließen. Darüber hinaus können Geschädigte über diese Plattform auch als Privatbeteiligte einem möglichen Strafverfahren beitreten. Voraussetzung für letzteres ist allerdings der Erwerb der VSV-Mitgliedschaft (30 EUR Jahresbeitrag).

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