Deutsches Gericht verurteilt wegen Folter nach Weltrechtsprinzip

Zum ersten Mal bestrafte ein deutsches Gericht einen ausländischen Staatsangehörigen wegen Teilnahme an einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Ausland. Das OLG Koblenz hat auf Grund völkerrechtlicher Zuständigkeit nach dem Weltrechtsprinzip entschieden und implizit auch das Assad-Regime verurteilt.

Wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat der erste Strafsenat des OLG Koblenz einen syrischen Staatsangehörigen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Damit hat das OLG Koblenz Rechtsgeschichte geschrieben. Die Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht bahnbrechend.

Implizite Verurteilung des syrischen Assad-Regimes

Wegweisend ist zunächst die ausdrückliche Feststellung des OLG, dass die syrische Regierung spätestens Ende April 2011 einen systematischen Angriff auf die eigene Zivilbevölkerung initiiert hat. Nach der Bewertung des OLG hat die syrische Regierung auf diese Weise versucht, die im Gefolge des „Arabischen Frühlings“ entstandenen Protestbewegungen in Syrien gewaltsam im Keim zu ersticken und die Stabilität des Regimes zu sichern.

Gefangene wurden systematischer Folter ausgesetzt

Das OLG hat eine ausführliche Beweisaufnahme durchgeführt und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Regierung im gesamten Land Oppositionelle, Demonstranten und Regimekritiker willkürlich verhaftet hat, um sie anschließend zu misshandeln, zu foltern und teilweise zu töten. Bestandteil dieses Systems sei der „Syrische Allgemeine Geheimdienst“ gewesen, dessen Abteilung 251

  • Menschen ohne rechtsstaatliche Verfahren eingesperrt und
  • unter anderem durch Schläge, Tritte und Elektroschocks gefoltert habe.
  • Medizinische Versorgung und Körperpflege seien den Gefangenen systematisch verweigert worden,
  • die Ernährung der Gefangenen sei unzureichend gewesen.
  • Die Gefängniszellen seien teilweise so überfüllt gewesen, dass es den Gefangenen nicht mehr möglich gewesen sei, sich zu setzen oder zum Schlafen hinzulegen.

Ziel der Folterungen sei es gewesen, Geständnisse zu erzwingen und Informationen über die oppositionellen Bewegungen zu erhalten.

Angeklagter war Gehilfe des Regimes

Nach Überzeugung des Gerichts hatte der Angeklagte Beihilfe zu diesen Verbrechen bei insgesamt 30 Menschen geleistet. Als Angehöriger der Unterabteilung 40 des Syrischen Allgemeinen Geheimdienstes habe er im September/Oktober 2011 nach der gewaltsamen Auflösung einer Demonstration in Douma gemeinsam mit anderen Geheimdienstkollegen 30 Personen festgenommen und in das Foltergefängnis gebracht. Von der systematischen Folter im Gefängnis habe er gewusst und die Folterung der von ihm Festgenommen billigend in Kauf genommen.

Schockierende Fotos als Beweismittel

Ein wesentliches Beweismittel im Prozess waren die sogenannten „Caesar-Files“, bestehend aus über 25.000 Fotografien, mit denen dokumentiert wurde, dass mehr als 6.000 Menschen im Rahmen der Folter ihr Leben verloren. Eine persönliche Anmerkung der Vorsitzenden Richterin hierzu: „Diese Bilder werde ich nie vergessen“.

Der Angeklagte hat sich freiwillig zur Verfügung gestellt

Strafschärfend hat der Senat berücksichtigt, dass der Angeklagte sich freiwillig und langjährig dem repressiven Sicherheitsapparat zur Verfügung gestellt hatte.

Angeklagter hat zur Aufklärung beigetragen

Strafmildernd hat der Senat berücksichtigt,

  • dass der Angeklagte in eine strikt hierarchische, keine abweichende Meinung duldende Befehlsstruktur eingebunden gewesen sei.
  • Er habe sich selbst belastet und hierdurch maßgeblich zum Nachweis des Tatvorwurfs beigetragen.
  • Außerdem habe er gemäß § 46 b StGB zur Aufklärung weiterer Taten beigetragen, indem er über seine eigene Beteiligung hinaus Angaben zu weiteren Beteiligten gemacht habe.
  • Schließlich habe er sich zu einem relativ frühen Zeitpunkt Anfang 2012 von dem Regime abgewandt und sein Tun später aus freien Stücken offenbart.

Das Gericht bewertete das Tun des Angeklagten lediglich als Beihilfe, da er die Straftaten nicht als eigene gewollt habe.

OLG leitet Zuständigkeit aus Weltrechtsprinzip ab

Seine Zuständigkeit zur Verurteilung des Angeklagten leitete der Senat aus dem Weltrechtsprinzip gemäß § 1 Satz 1 VStGB (Völkerstrafgesetzbuch) ab. Dieses erlaubt die weltweite Verfolgung von Straftaten gegen die Wertegrundlagen der Menschheit unabhängig vom Tatort und der Staatsangehörigkeit des Täters oder des Opfers.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Gemäß § 7 VStGB ist eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig, wer u.a.

  • im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung
  • einen Menschen, der sich in seinem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befindet,
  • foltert, indem er ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zugefügt, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen sind und/oder
  • einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt.

OLG hat von der Strafmilderungsoption Gebrauch gemacht

Nach § 7 Absatz 1 VStGB wäre hiernach die Mindeststrafe für den Angeklagten 5 Jahre Freiheitsstrafe gewesen. Das Gericht hat jedoch von der Milderungsmöglichkeit der §§ 46 b, 49 StGB Gebrauch gemacht, weil der Täter durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hatte, dass weitere Taten aufgeklärt werden konnten. Im Ergebnis lautete das Urteil auf eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten.

(OLG Koblenz, Urteil v. 24.2.2021, 1 StE 3/21).

Anmerkung: Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und die Verteidiger des Angeklagten haben angekündigt, gegen das Urteil Revision einzulegen. Sie plädierten darauf, der Angeklagte habe im entschuldigenden Notstand gehandelt, denn eine Befehlsverweigerung in Syrien wäre für ihn tödlich gewesen. Der BGH muss also entscheiden, ob an dieser Argumentation etwas dran ist.

Hintergrund: Urteil mit weltweiter Bedeutung

Das Urteil hat internationale Signalwirkung. Sowohl die Verurteilung eines syrischen Staatsangehörigen wegen einer Tat auf syrischem Boden durch ein deutsches Gericht auf der Grundlage des Weltrechtsprinzips als auch die in dem Urteil implizit enthaltene Verurteilung des Assad-Regimes wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit und systematische Folter gelten als wegweisend.

Deutschland ist kein sicherer Hafen für Folterknechte

Ein deutliches Signal des Urteils geht auch an sämtliche Folterknechte in Unrechtsregimen, die sich später in Deutschland oder in einem anderen europäischen Land in Sicherheit bringen wollen: Deutschland - und wahrscheinlich auch die meisten anderen europäischen Staaten - sind für solche Täter kein sicherer Hafen mehr.

Verfahren gegen Hauptangeklagten geht weiter

Gegen den im gleichen Verfahren angeklagten syrischen Hauptangeklagten wurde noch kein Urteil gefällt. Dem Hauptangeklagten wirft die Bundesanwaltschaft ebenfalls Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Ihm werden 58-facher Mord und Folter von mindestens 4.000 Personen zur Last gelegt.

Schlagworte zum Thema:  Strafrecht, Menschenrecht