BVerfG erklärt BKA-Gesetz in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig
Im Jahre 2009 hat der Gesetzgeber das sogenannte Bundeskriminalamt-Gesetz (BKAG) eingeführt, mit dem das BKA zu umfassenden heimlichen Überwachungsmaßnahmen zur Abwehr der vom internationalen Terrorismus ausgehenden Gefahren ermächtigt wurde.
Nach dem Gesetz ist unter bestimmten Voraussetzungen die Überwachung von privaten Wohnungen erlaubt, Überwachungskameras dürfen in Wohnungen installiert und Telefone abgehört werden. Dies ging einigen liberalen und auch grünen Politikern zu weit. Gegen das Gesetz haben unter anderem der frühere liberale Bundesinnenminister Gerhart Baum, der ehemalige Kulturstaatsminister Michael Naumann sowie mehrere Politiker der Grünen geklagt.
Streitpunkt Bundestrojaner
Auf der Grundlage des Gesetzes hat das BKA bereits einige Aktivitäten entfaltet und unter anderem den sogenannten „Bundestrojaner“ entwickelt. Das ist eine Software, mit der das BKA sich in die Festplatten der Rechner von mutmaßlichen Terrorverdächtigen hacken kann und dann den gesamten Online-Verkehr, laufende Gespräche und Chats überwacht. Der Streit ist inzwischen allerdings schon entschärft, da der Bundestrojaner bestimmte Betriebssysteme von Apple oder Linux sowie verschlüsselte Messenger (z.B. WhatsApp) nicht überwachen kann und damit eigentlich technisch schon veraltet ist.
BVerfG erkennt die Sicherheitsinteressen des Staates grundsätzlich an
In seinem Urteil betont der Senat zunächst das Recht und sogar die Pflicht des Gesetzgebers, die Bevölkerung durch rechtliche Maßnahmen vor Terrorgefahren zu schützen. Der Schutz der Allgemeinheit sei eine der wesentlichen Aufgaben sowohl der Legislative als auch der Exekutive. Hierbei seien zur Abwendung von Gefahren auch Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen der Bürger zulässig. Die Voraussetzungen, unter denen solche Eingriffe zulässig seien, müssten rechtlich aber möglichst exakt definiert und hierbei strikt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden.
Eingriffsermächtigungen zu schwammig formuliert
Diese Grundsätze sah der Senat bei vielen der im BKAG enthaltenen Eingriffsermächtigungen nicht hinreichend gewahrt. Die Verfassungsrichter stellten heraus,
- dass insbesondere die optische und akustische Überwachung von Wohnräumen, die Einschränkung des Telekommunikationsgeheimnisses und der informationellen Selbstbestimmung besonders einschneidende Eingriffe in die Privat- und Intimsphäre der Bürger bedeuten,
- das Gesetz die Voraussetzungen für solche weitreichenden Eingriffe häufig nicht exakt genug definiert,
- und der bei solchen Eingriffen strikt zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht hinreichend gewahrt wird.
- Das BVerfG beanstandete das Fehlen flankierender Schutzvorschriften, insbesondere für nicht Verdächtige unbeteiligte Dritte
- sowie die Abwesenheit von klaren Vorgaben für die Löschung nicht benötigter, ausschließlich die Intimsphäre der Beteiligten betreffender Daten.
- Schließlich vermissten die Richter eine hinreichende Transparenz für den Bürger,
- hinreichende Instrumente richterlicher Kontrolle
- sowie das Fehlen von Informationspflichten über einschneidende Maßnahmen gegenüber Parlament und Öffentlichkeit.
Detaillierte Vorgaben des BVerfG für den Gesetzgeber
Im einzelnen forderte der Senat, dass
- die Regelung zum Einsatz von außerordentlichen Überwachungsmitteln außerhalb von Wohnungen, beispielsweise durch Observation, Bild- und Tonaufzeichnungen (§ 20 Abs. 1-3 BKAG) an ein konkret absehbares Geschehen gebunden sein muss, das in absehbarer Zeit zu terroristischen Straftaten führen kann,
- die Wohnraumüberwachung enger auf Gespräche der gefahrverantwortlichen Zielperson selbst fokusiert wird und ausschließlich die Privatsphäre betreffende Gespräche mit Dritten nicht ausgewertet werden dürfen,
- zum Schutze des Kernbereichs privater Lebensgestaltung die Verwertung von Gesprächen durch das BKA (§ 20 Abs. 5 BKAG) grundsätzlich davon abhängig gemacht wird, dass eine unabhängige Stelle die Gespräche daraufhin untersucht, inwieweit sie lediglich höchst private Informationen erhalten, deren Auswertung für die Terrorbekämpfung unerheblich ist (gilt auch für Online-Überwachung § 20k BKAG),
- die Ergänzung des Gesetzes um flankierende Regelungen zum Schutz der Betroffenen, beispielsweise durch spezielle Regelungen für Berufsgeheimnisträger (Rechtsanwälte),
- die Ergänzung des Gesetzes durch Transparenzregeln,
- die Ergänzung um effektive richterliche Kontrollinstrumente,
- sowie die Ergänzung um Vorschriften zur Löschung der Daten, nachdem sie ihren Zweck erfüllt haben,
- schließlich die Benennung der Voraussetzungen, unter denen gewonnene Daten für andere als den ursprünglichen Zweck (andere Ermittlungsverfahren) verwendet werden dürfen.
Grundrechte müssen auch bei der Datenübermittlung ins Ausland gewahrt werden
Besonders kritisch sieht das BVerfG die nach § 20v Abs. 5 BKAG eingeräumte Befugnis zur Übermittlung der gewonnenen Daten an ausländische Strafverfolgungsbehörden außerhalb der EU. Die Übermittlungsbefugnisse sind nach Auffassung der Verfassungsrichter erheblich zu begrenzen und zwar
- auf die Verfolgung hinreichend gewichtiger Straftaten
- sowie auf die Übermittlung an Staaten, die die wesentlichen Grund- und Menschenrechte, insbesondere die Persönlichkeitsrechte anerkennen
- und die Beachtung grundlegender datenschutzrechtlicher Bestimmungen garantieren.
Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers
Nach dem Urteil ist das BKAG in Teilen verfassungswidrig aber nicht nichtig. Dieser feine Unterschied bedeutet praktisch, dass das Gesetz weiter angewendet werden kann, und zwar bis zum 30.6.2018. Solange haben die Verfassungsrichter dem Gesetzgeber Zeit zur Nachbesserung gegeben. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat sich über die vielfachen Vorgaben der Verfassungsrichter nicht gerade erfreut gezeigt.
Seine Bedenken werden übrigens von zwei Verfassungsrichtern, die das Urteil mit abweichenden Voten versehen haben, geteilt. Der Minister sieht durch das Urteil die Möglichkeiten des BKA zu einer effektiven Terrorabwehr zu stark eingegrenzt. Gleichzeitig hat die Bundesregierung aber angekündigt, das Urteil schnell und sorgfältig auszuwerten und die Vorgaben umgehend umzusetzen. Der Innenstaatssekretär Hans-Georg Engelke sieht’s gelassen.
Mit dem Gesetz habe das Parlament Neuland betreten, mit Nachbesserungsbedarf seitens des Verfassungsgerichts habe man daher rechnen müssen. Bis Juni 2018 werde es der Gesetzgeber schon schaffen, die verfassungsrechtlichen Vorgaben umzusetzen und dennoch eine effektive Terrorabwehr zu gewährleisten. Besonders zufrieden zeigten sich die Kläger. „Das Gericht hat sich mal wieder als Hüter der Verfassung bewährt“, meinte der ehemalige Bundesinnenminister Baum.
(BVerfG, Urteil v. 20.4.2016, 1 BvR 966/09; 1 BvR 1140/09).
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