Wann darf ein erkrankter Rechtsanwalt dem Gericht fern bleiben?

Auch Anwälte sind nur Menschen, die einmal kurzfristig erkranken. Doch was müssen sie eigentlich tun, wenn sie krankheitsbedingt nicht in der Lage sind, einen Gerichtstermin wahrzunehmen? Der Verwaltungsgerichtshof München gibt Anwälten Aufschluss.

Anlass für die Entscheidung war ein asylrechtliches Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Regensburg. Termin zur mündlichen Verhandlung war auf den 27.5.2016, 9 Uhr, anberaumt. Am Morgen des 27.5.2016 ging bei Gericht ein Antrag des Prozessbevollmächtigten des klagenden Mandanten auf Absetzung des Termins wegen seiner Erkrankung ein.

Ohne den Antrag zu bescheiden oder den Prozessbevollmächtigten darüber zu informieren, dass der Termin nicht abgesetzt wird, hat das Verwaltungsgericht Regensburg die Klagen nach Durchführung der anberaumten Verhandlung abgewiesen. Der hierauf gestellte Antrag des Mandanten, die Berufung zuzulassen, blieb ohne Erfolg.

Die Berufung sei nicht wegen der gerügten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zuzulassen, entschied der Verwaltungsgerichtshof München. Der Mandant machte insoweit geltend, das Verwaltungsgericht hätte dem zweiten Antrag ihres Prozessbevollmächtigten auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung stattgeben oder ihn verbescheiden, jedenfalls aber ihren Anwalt rechtzeitig dahingehend informieren müssen, dass der Termin nicht abgesetzt werde. Dann hätte dieser die Bescheinigung über seine Arbeitsunfähigkeit durch Familienmitglieder zur Kanzlei bringen und von dort an das Verwaltungsgericht übermitteln lassen.

Gericht zur Vertagung verpflichtet

Hintergrund: Gemäß § 173 S. 1 VwGO in Verbindung mit § 227 Absatz 1 Satz 1 ZPO kann eine Verhandlung aus erheblichen Gründen vertagt werden. Die Vorschrift dient unter anderem dazu, den Beteiligten die sachgerechte Wahrnehmung ihrer Rechte im Prozess durch schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag zu ermöglichen, so dass ihre Verletzung den Anspruch auf rechtliches Gehör berührt. Dieser Anspruch schließt das Recht eines Beteiligten ein, sich durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vertreten zu lassen. Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Vertretung in der mündlichen Verhandlung infolge einer kurzfristigen, überraschenden Erkrankung des Prozessbevollmächtigten mit daraus folgender Unzumutbarkeit des Erscheinens oder des Verhandelns ist daher in der Regel ein erheblicher Grund für eine Terminsänderung. Wenn ein solcher Grund vorliegt, verdichtet sich angesichts des hohen Rangs des Anspruchs auf rechtliches Gehör das Ermessen, das § 173 S. 1 VwGO in Verbindung mit § 227 Absatz 1 Satz 1 ZPO einräumt, regelmäßig zu einer entsprechenden Verpflichtung des Gerichts.

Entschuldigungsschreiben der Sekretärin hilft nicht

Vorliegend war nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs München weder eine Verlegung des Termins noch eine Benachrichtigung des Anwalts und dessen Mandanten veranlasst. Es reiche nicht aus, dass der Prozessbevollmächtigte des Mandanten wie im konkreten Fall durch eine Kanzleisekretärin den Absetzungsantrag übermittelt und zur Begründung lediglich hat mitteilen lassen, er sei an der Wahrnehmung des Termins „krankheitsbedingt“ verhindert. Vielmehr hätte dargelegt werden müssen, dass Art und Schwere der Krankheit der Verhandlungs- und/oder gegebenenfalls der Reisefähigkeit entgegenstehen, betonten die Münchener Richter.

Pauschale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reicht nicht

Nach dem Richterspruch gilt Folgendes:

  • Wird eine Terminsaufhebung bzw. -verlegung erst einen Tag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und mit einer Erkrankung begründet, so muss der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- bzw. Reisefähigkeit besteht. Im Fall eines erst kurz vor dem Termin gestellten Aufhebungs- bzw. Verlegungsantrags ist das Gericht – jedenfalls bei einem anwaltlich vertretenen Kläger – grundsätzlich weder verpflichtet, dem Betroffenen einen Hinweis zu geben, noch, ihn zur Ergänzung seines Vortrags aufzufordern oder selbst Nachforschungen anzustellen.
  • Selbst die Vorlage einer (pauschalen) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reicht generell nicht aus, denn sie belegt keine Verhandlungs- und/oder gegebenenfalls Reiseunfähigkeit auch für eine begrenzte Zeit (Anreise und Dauer der mündlichen Verhandlung). Nur die Vorlage eines ärztlichen Attests, welches dem Beteiligten eine krankheitsbedingte Verhinderung (im Sinne einer Verhandlungs- und/oder ggf. Reiseunfähigkeit) bescheinigt, ist grundsätzlich als ausreichende Entschuldigung anzusehen.

Im vorliegenden Fall bestand die Besonderheit, dass der Anwalt des Klägers einen Monat vorher schon einmal krank war. Das Verwaltungsgericht wäre nach Ansicht der Münchener Richter hier nur dann zu einem rechtzeitigen Hinweis darauf, dass der Termin nicht abgesetzt wird, verpflichtet gewesen, wenn der Prozessbevollmächtigte dem Absetzungsantrag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beigelegt hätte. Diese Pflicht hätte hier aber nur deswegen bestanden, weil das Verwaltungsgericht einen Monat vorher auf die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hin den damaligen Termin abgesetzt hatte. In diesem Fall hätte der Prozessbevollmächtigte darauf vertrauen dürfen, dass auch dem zweiten Antrag ohne anderweitige vorherige Mitteilung stattgegeben wird. Eine solche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat der Prozessbevollmächtigte hier aber nicht vorgelegt und auch nicht darauf verwiesen, dass eine solche nachgereicht werde und er sich derzeit beim Arzt zur dringend notwendigen Behandlung befinde.

Fazit: Für die Praxis wichtig zu wissen: Solange ein Termin zur mündlichen Verhandlung vom Gericht nicht aufgehoben worden ist, dürfen und müssen die Beteiligten davon ausgehen, dass der Termin auch stattfindet. Das hat das Verwaltungsgericht München in dem Beschluss noch einmal expressis verbis klargestellt. 

(VGH München, Beschluss vom 27.7.2016, 11 ZB 30121/16)

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