Staatsanwaltschaft darf Anklage nicht zu früh veröffentlichen

Medienrummel war vorprogrammiert, als es zur Anklage eines ehemaligen Oberbürgermeisters wegen verschiedener Korruptionsdelikte kam. Ärger bekam in diesem Fall aber auch die Staatsanwaltschaft, die nur zwei Stunden nach Übermittlung der Anklageschrift an den Beschuldigten, die nicht einmal vollständig war, die Presse informierte.

Regeln des fairen Verfahrens gelten auch außerhalb des Gerichtssaals

Auch das Drumherum um einen Strafprozess muss stimmen; die Regeln der Fairness und der Waffengleichheit sind einzuhalten. Das gilt auch für in der Öffentlichkeit bekannte Personen und den Umgang mit der Presse, die an so einem Fall naturgemäß besonderes Interesse hat.

Ermittlungen gegen Alt-Oberbürgermeister wegen Korruption

In diesem Fall war die prominente Person ein ehemaliger Oberbürgermeister in Bayern. Seit 2016 liefen gegen ihn Ermittlungsverfahren wegen verschiedener Korruptionsdelikte wie Bestechung, wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen, Vorteilsgewährung und Verstöße gegen das Parteiengesetz.

Bei der Anklageschrift, die der Beschuldigte erhielt, fehlte die Zusammenfassung

Die 25-seitige Anklageschrift ging am 27. Juli 2017, 9 Uhr beim zuständigen Landgericht ein. Direkt danach wurde sie auch dem Beschuldigten bzw. dessen Strafverteidigern übermittelt, allerdings – im Unterschied zur Gerichtsversion - ohne das „wesentliche Ergebnis der Ermittlungen“.

Pressemitteilung folgte zwei Stunden später

Zwei Stunden später verschickte die Staatsanwaltschaft schon eine 7-seitige Pressemitteilung an lokale und überörtliche Medien ohne den Namen des Alt-Oberbürgermeisters zu nennen. Zudem wurde mitgeteilt, dass der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft ab 15 Uhr für einen „O-Ton“ zur Verfügung stehe. Der Beschuldigte wehrte sich gegen diese voreilige Vorgehensweise. 

Verwaltungsgerichte bescheinigen der  Staatsanwaltschaft unfaires Vorgehen 

Der Ex-Oberbürgermeister bekam vor dem VG Recht und behielt es auch vor dem VGH München. Zum einen hielten die Gerichte die Zeit zwischen Versand der Anklageschrift an den Beschuldigten und Pressemitteilung mit zwei Stunden zu kurz bemessen, zum anderen monierten sie, dass das wesentliche Ermittlungsergebnis dem Beschuldigten nicht auch übermittelt wurde.

Durch diese zeitliche Ausgestaltung ihrer Pressearbeit - zwei Stunden nach Übermittlung des Anklagesatzes an die Verteidiger des Klägers - hat die Anklagebehörde das Recht des Klägers auf ein faires Verfahren verletzt.

Wartezeit zwischen Information des Angeklagten und der Presse einzelfallabhängig

Betroffen ist das Gebot der Waffengleichheit (Art. 6 Abs.1 S.1 EMRK, Art. 2 Abs.1 i.V.m. Art. 20 Abs.3 GG → BVerfG stärkt den Grundsatz der Prozessualen Waffengleichheit), das von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Es gibt dementsprechend keine feste Wartefrist im Zusammenhang mit der Presse. Dem Betroffenen muss genug Zeit eingeräumt werden, sich seinerseits auf die zu erwartenden Presseanfragen vorzubereiten.

Bei der Beurteilung der Zeitspanne spielen hinein:

  • die Komplexität des Verfahrens,
  • der Inhalt und Umfang der Anklageschrift vor dem Hintergrund
  • des bisherigen Kenntnisstandes des Beschuldigten und seiner Verteidiger.

Anklageschrift an den Beschuldigten war unvollständig

Zu den Bestandteilen der Anklageschrift zählt auch das wesentliche Ermittlungsergebnis (§ 200 Abs.2 S.1 StPO, Nr.110 Abs.2 Buchst. g RiStBV). Das hätte demzufolge nicht nur dem Gericht, sondern auch dem Beschuldigten bzw. dessen Verteidigern übermitteln werden müssen.

Nicht nur das Gericht, auch die StA  muss ein faires Verfahren gewährleisten

Das Gebot einer rechtsstaatlichen, insbesondere auch fairen Verfahrensgestaltung bindet, so die Richter des VGH, nicht nur die Gerichte. Es ist auch von allen anderen staatlichen Organen zu beachten, die auf den Gang eines Strafverfahrens Einfluss nehmen, demgemäß auch von der Exekutive (vgl. BVerfG, Beschluss v. 26.5.1981,  2 BvR 215/81).

Das Recht auf ein faires Verfahren, dem auch das Recht auf Waffengleichheit entspringt (vgl. BVerfG, Beschluss v. 27.6.2014,  2 BvR 429/12), findet seine Wurzeln in den im Rechtsstaatsprinzip verbürgten Grundrechten und Grundfreiheiten des Menschen und setzt einen Mindestbestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen des Angeklagten voraus.

Dies wurden hier durch das rasante und einseitige Vorgehen der Staatsanwaltschaft beeinträchtigt.

Feststellung der Verletzung von Verfahrensregeln nur bei Wiederholungsgefahr

Die Wiederholungsgefahr war ein zentrales Thema in der Entscheidung des VGH München. Dieser bedurfte es, um die Feststellung des fehlerhaften Handelns durch die Staatsanwaltschaft vom Gericht zu erreichen. Sie wurde bejaht, da zum Zeitpunkt der Entscheidung noch ein anderes, vergleichbares Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Oberbürgermeister lief und die Staatsanwaltschaft nie klar zum Ausdruck gebracht hatte, dass sie ihre Pressearbeit künftig anders gestalten werde.

(VGH München, Beschluss v. 20.8.2020, 7 ZB 19.1999).

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Hintergrund: Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit

Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit ist Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes im Zivilprozess und sichert verfassungsrechtlich die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor dem Richter, der - auch im Blick auf die grundrechtlich gesicherte Verfahrensgarantie aus Art. 103 Abs. 1 GG - den Prozessparteien im Rahmen der Verfahrensordnung gleichermaßen die Möglichkeit einzuräumen hat, alles für die gerichtliche Entscheidung Erhebliche vorzutragen und alle zur Abwehr des gegnerischen Angriffs erforderlichen prozessualen Verteidigungsmittel selbständig geltend zu machen.

Dem entspricht die Pflicht des Richters, diese Gleichstellung der Parteien durch eine objektive, faire Verhandlungsführung, durch unvoreingenommene Bereitschaft zur Verwertung und Bewertung des gegenseitigen Vorbringens, durch unparteiische Rechtsanwendung und durch korrekte Erfüllung seiner sonstigen prozessualen Obliegenheiten gegenüber den Prozessbeteiligten zu wahren (BVerfGE 52, 131, 156 f. m.w.N.).

Erforderlich sind danach die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor dem Richter und gleichwertige Möglichkeiten zur Ausübung ihrer Rechte. Die prozessuale Waffengleichheit steht dabei im Zusammenhang mit dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 1 GG, der eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist. Als prozessuales Urrecht (vgl. BVerfGE 70, 180, 188) gebietet dieser, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen.

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