Anwaltszwang gilt für alle Anträge im gerichtlichen Verfahren - „i. A.“ reicht nicht

Eine Frau verlangte von ihrem Ex-Ehemann Schadensersatz in einer Familiensache, der allerdings vom Amtsgericht mit Beschluss vom 11.7.2017 abgewiesen wurde.
Erster Fehler: Falsches Datum im Empfangsbekenntnis
Die Anwältin der Antragstellerin erhielt die Entscheidung am 25.7.2017. Fatalerweise – und hier nahm das Unglück für die Antragstellerin und deren Vertreterin ihren Lauf – weist das Empfangsbekenntnis versehentlich den 25.6.2017 als Empfangsdatum aus.
Weitere Fehler: Kanzleiangestellter beantragt „i.A.“ Verlängerung der falschen Frist
Zwei Tage später reichte die Anwältin beim OLG München Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts ein.
- Dieses stellte am 4.8.2017 die Verspätung fest
- und gab Gelegenheit zur Stellungnahme.
- Dieses Schreiben traf in der Kanzlei ein, als die Rechtsanwältin gerade im Urlaub war.
Sie besprach die Sache mit ihrem Kanzleiangestellten und wies ihn an ein Schreiben ans Gericht aufzusetzen, in dem um Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist gebeten wird.
- Hier passieren die nächsten Fehler: Der Kanzleiangestellte verfasst am 29.8.2017 ein Schreiben an das Beschwerdegericht,
- in dem er beantragt, „die Stellungnahmefrist um 3 Wochen, also spätestens zum 20.09.2017 zu verlängern“ und
- unterzeichnet es mit dem Zusatz „i.A.“.
„Antragsgemäße Fristverlängerung“ gaukelt Erfolg vor
Trotz der Fehler hatte die Kanzlei kurzzeitig scheinbar Glück: Das OLG bestätigte mit Schreiben vom 29.8.2017 die fristgerechte Beschwerdeeinlegung, weil der Amtsgerichts-Beschluss denknotwendig erst am 25.7.2017 eingegangen sein konnte und entschied, dass „auf Antrag der Rechtsanwältin vom 29.8.2017 die Beschwerdebegründungsfrist antragsgemäß verlängert“ wird.
BGH weist Beschwerde als unzulässig zurück
Das Aufatmen war nur von kurzer Dauer.
- Die Beschwerdebegründung der Anwältin wurde verworfen und
- deren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen.
Dabei blieb es auch nach der Rechtsbeschwerde beim BGH, der diese schon als unzulässig zurückwies, da sie weder von grundsätzlicher Bedeutung war noch divergierende Entscheidungen von Obergerichten glattgezogen werden mussten (§ 574 Abs.2 ZPO).
Anwältin hätte den Verlängerungsantrag selbst unterzeichnen müssen
Inhaltlich schloss sich der BGH seinem Vorentscheider an. Der Kanzlei waren zwei unverzeihliche Versehen unterlaufen:
- Zum einen hätte die Anwältin die Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist nicht ihrem Kanzleiangestellten überlassen dürfen. Das darf allein ein Anwalt, weil Anwaltszwang besteht (§ 114 Abs.1 FamFG).
- Zum anderen hat der Kanzleiangestellte gar nicht beantragt die Beschwerdebegründungsfrist zu verlängern, sondern nur die Stellungnahmefrist.
Dementsprechend bezog sich die Gewährung der Verlängerung durch das OLG - trotz falscher Bezeichnung als Beschwerdebegründungsfrist - nur auf die Stellungnahmefrist, denn diese wurde „antragsgemäß“ verlängert.
Anwälte müssen Anwaltszwang und Folgen kennen
Diese Versäumnisse ließen sich nicht per Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausmerzen, weil sie nicht unverschuldet waren. Der BGH unterstellt der Verfahrensbevollmächtigten, dass ihr der Anwaltszwang bekannt war. Zudem sah der BGH das Hoffnung suggerierende gerichtliche Schreiben vom 29.8.2017 nicht als Vertrauenstatbestand an, der irgendetwas an der Sachlage änderte.
Flüchtigkeitsfehler mit fataler Wirkung
Was mit einem Flüchtigkeitsfehler begann, führte am Ende zum Verlust von möglichen Ansprüchen. Das Verschulden der Anwältin war der Frau, die einen Schadensersatz gegen ihren Ex-Mann nun nicht mehr durchsetzen konnte, zuzurechnen (§ 85 Abs.2 ZPO). Ihr bleibt jetzt nur noch zu versuchen, ihre anwaltliche Vertreterin in Haftung zu nehmen.
(BGH, Beschluss v. 19.12.2018, XII ZB 53/18).
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Hintergrund:
Unterschrift
Nach der Rechtsprechung des BGH ist die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers nach §§ 520 Abs. 5, 130 Nr. 6 ZPO Wirksamkeitsvoraussetzung für eine rechtzeitige Berufungsbegründung. Damit soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglicht und dessen unbedingter Wille zum Ausdruck gebracht werden, den Schriftsatz zu verantworten und bei Gericht einzureichen.
„Für den Anwaltsprozess bedeutet dies, dass die Berufungsbegründung von einem dazu bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt zwar nicht selbst verfasst, aber nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und unterschrieben sein muss“ (BGH, Beschluss vom 26.7.2012, III ZB 70/11).
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Einer Partei ist nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO einzuhalten.
Verschulden des Anwalts ist der Partei wie ihr wie eigenes zuzurechnen. Lediglich Verschulden des Büropersonals, welches nicht auf einem Organisationsverschulden des Anwalts beruht, hat die Partei nicht zu vertreten.
Die Wiedereinsetzung muss nach § 234 Abs. 1 ZPO innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. Ist der Anwalt während der bereits verlängerten Berufungsbegründungsfrist erkrankt und verweigert die Gegenseite ihre Zustimmung zu einer erneuten Fristverlängerung, stellt sich die Frage, auf welches Ereignis beim Fristbeginn abzustellen ist. Hier hat der BGH das Ende der Erkrankung als Fristbeginn angesehen (BGH, Beschluss v. 5.4.2011, VIII ZB 81/10).
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