Anwalt darf sich auf unrichtige Rechtsmittelbelehrung verlassen

Dies gilt in Wohnungseigentums- und Zivilsachen mit wohnungseigentumsrechtlichen Bezug auch, wenn der generische Anwalt deren Richtigkeit in Zweifel zieht und die Berufung beim richtigen zuständigen Berufungsgericht einlegt. Der durch den Fehler des Amtsgerichts hervorgerufene Vertrauensschutz gilt laut BGH solange, bis das aufgerufene LG auf seine Unzuständigkeit hinweist. Erst dann beginnt die Wiedereinsetzungsfrist.

Die Parteien im fraglichen Fall sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Das Amtsgericht Waren (Müritz) verurteilte die Beklagte zur Beseitigung des von ihr vorgenommenen Dachgeschossausbaus und stellte fest, dass der von der Eigentümerversammlung getroffenen Beschluss zugunsten des Dachausbaus nichtig ist.

Rechtsmittelbelehrung nannte LG Neubrandenburg als Berufungsgericht

In der Rechtsmittelbelehrung wurde das Landgericht Neubrandenburg als zuständiges Berufungsgericht angegeben. Das ist das für allgemeine Zivilsachen und nicht das in Mecklenburg-Vorpommern für die Entscheidung von Wohnungseigentumssachen zuständige Berufungsgericht.

Beide Parteien hatten jeweils Berufung eingelegt, wobei die Beklagte ihre Berufung an das LG Neubrandenburg und der Kläger diese an das LG Rostock richtete. Nach einem Hinweis des Gerichts auf seine Unzuständigkeit legte die Beklagte beim LG Rostock als dem nach § 72 Abs. 2 S.1 GVG für Wohnungseigentumssachen zuständigen Berufungsgericht Berufung ein und begründet diese. Zudem beantragte sie Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist.

Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen: Rechtsmittelbelehrung offenkundig fehlerhaft

Das LG Rostock wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung der Beklagten als unzulässig. Dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten sei ein schuldhafter Rechtsirrtum vorzuwerfen, den sich die Beklagte zurechnen lassen müsse. Auch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung lasse das Verschulden nicht entfallen, so das LG Rostock.

Zwar könne ein Rechtsanwalt grundsätzlich auf die Richtigkeit einer gerichtlichen Rechtsmittelbelehrung vertrauen, dies gelte jedoch nicht, wenn diese offenkundig fehlerhaft und der durch sie verursachte Irrtum nicht nachvollziehbar sei. Im vorliegenden Fall handle es sich um eine Wohnungseigentumssache, was sich aus dem Rubrum des angegriffenen Urteils eindeutig ergebe. Es entspreche nach mehr als zehn Jahren dem allgemeinen Kenntnisstand, dass in Mecklenburg-Vorpommern hier die Zuständigkeit beim LG Rostock konzentriert sei.

BGH widerspricht LG Rostock: Rechtsanwalt unterliegt unverschuldetem Rechtsirrtum

Diese rechtliche Auffassung des LG Rostock hielt vor dem BGH nicht stand. Zwar sei das LG Rostock vorliegend das zuständige Berufungsgericht. Dies richte sich auch dann einheitlich nach § 72 Abs. 2 GVG, wenn nur ein Teil der Entscheidung eine Wohnungseigentumssache im Sinne von § 43 Nr. 1 bis 4 und 6 WEG betreffe. Die Voraussetzungen des § 233 ZPO, wonach einer Partei auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei, seien vorliegend jedoch erfüllt.

War der beim Anwalt durch fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung verursachte Irrtum nachvollziehbar?

Rechtsfehlerhaft habe das Berufungsgericht angenommen, die unzutreffende Rechtsmittelbelehrung sei offenkundig fehlerhaft und der beim Prozessbevollmächtigten verursachten Irrtum nicht mehr nachvollziehbar, so der BGH. Nach der Rechtsprechung des Senats unterliege ein Rechtsanwalt in aller Regel einem unverschuldeten Rechtsirrtum, wenn er die Berufung bei einer Wohnungseigentumssache aufgrund einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung nicht bei einem nach § 72 Abs. 2 GVG, sondern bei einem für allgemeine Zivilsachen zuständigen Berufungsgericht einlegt.

Maßgeblich allein, ob es sich um eine Streitigkeit nach § 43 Nr. 1 bis 4 und Nr. 6 WEG handelt

Eine solche Rechtsmittelbelehrung sei regelmäßig nicht offenkundig fehlerhaft. Die Rechtsmittelzuständigkeit könne auch für den am Ort des Prozessgerichts ansässige Rechtsanwalt zum einen deshalb fraglich sein, da nach § 72 Abs. 2 S. 2 GVG nicht zwingend das in § 72 Abs. 2 S. 1 GVG genannte Landgericht am Sitz des Oberlandesgerichts für Berufungen in Wohnungseigentumssachen zuständig sei und die Länder durch Rechtsverordnung ein anderes Landgericht bestimmen könnten.

Zum anderen werde eine Zuständigkeit nach § 72 Abs.2 S. 2 GVG nicht dadurch schon begründet, dass der für Wohnungseigentumssachen zuständige Amtsrichter entschieden habe. Maßgeblich sei allein, ob es sich um eine Streitigkeit nach § 43 Nr.1 bis 4 oder Nr. 6 WEG handle.

Rechtsanwalt muss auf Angabe der Zuständigkeit in der Rechtsmittelbelehrung vertrauen können

Hier verkenne das Berufungsgericht mit dem Hinweis auf die langjährige Berufungskonzentration in Wohnungseigentumssachen des LG Rostock, dass sich die Zuständigkeit der Berufungsinstanz nur dann nach § 72 Abs.2 GVG richte, wenn es im konkreten Fall tatsächlich eine Streitigkeit nach § 43 Nr.1 bis 4 oder Nr. 6 WEG vorliege.

Gerade, weil auch dies für den Rechtsanwalt fraglich sein kann, müsse er auf die angegebene Zuständigkeit in der Rechtmittelbelehrung vertrauen können. Auch die bloße Bezeichnung im Rubrum als Wohnungseigentumssache mache eine Streitigkeit schon nicht als solche nach § 43 Nr.1 bis 4 oder Nr. 6 WEG.

(BGH, Urteil v. 21.02.2020, V ZR 17/19).

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Hintergrund: Vertrauensschutz bei fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung

Durch eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung wird ein Vertrauenstatbestand geschaffen, der zur Wiedereinsetzung wegen schuldloser Fristversäumnis berechtigt, wenn die Belehrung einen unvermeidbaren oder zumindest entschuldbaren Rechtsirrtum hervorruft und die Fristversäumnis darauf beruht. Auch eine anwaltlich vertretene Partei darf sich im Grundsatz auf die Richtigkeit einer Belehrung durch das Gericht verlassen, ohne dass es darauf ankommt, ob diese gesetzlich vorgeschrieben ist oder nicht.

Vom Rechtsanwalt ist keine eigene Rechtsprüfung zu verlangen, solange eine Rechtsmittelbelehrung nicht offensichtlich fehlerhaft ist. Jedenfalls unterliegt der Rechtsanwalt in aller Regel einem unverschuldeten Rechtsirrtum, wenn er die Berufung in einer Wohnungseigentumssache aufgrund einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung nicht bei dem nach den entsprechenden Spezialvorschriften zuständigen Berufungsgericht, sondern bei dem für allgemeine Zivilsachen zuständigen Berufungsgericht einlegt.

Der Rechtsanwalt darf grundsätzlich davon ausgehen, dass dem Amtsgericht bekannt ist, bei welchem Landgericht die Zuständigkeitskonzentration für Berufungen in Wohnungseigentumssachen eingerichtet worden ist, und dass es hierüber zutreffend belehrt. Der Rechtsanwalt darf in aller Regel darauf vertrauen, dass die der Rechtsmittelbelehrung zugrundeliegende Einordnung der Sache seitens des Amtsgerichts als Wohnungseigentums- oder als allgemeine Zivilsache zutreffend ist (BGH, Beschluss v. 09.03.2017, V ZB 18/16).

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium

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