TÜV Rheinland wegen für fehlerhafter Brustimplantate verurteilt

Ein französisches Gericht hat den TÜV Rheinland zu Schadensersatz für von ihm zertifizierte fehlerhafte und reißanfällige Brustimplantate verurteilt. Das Pariser Berufungsurteil dürfte vom Brustimplantate-Skandal betroffenen deutschen Frauen nur begrenzt Grund zur Hoffnung auf Schadensersatz geben, um den bereits durch viele Instanzen bis zum EuGH geklagt wurde.


Nach einer Reihe unterschiedlicher Urteile französischer Gerichte hat ein Pariser Berufungsgericht entschieden, dass der TÜV Rheinland Schadenersatz für die von dem französischen Medizinproduktehersteller „PIP“ vertriebenen fehlerhaften Brustimplantate zahlen muss.

Brustimplantate wurden vorsätzlich mit Industriesilikon befüllt

Nicht nur in Europa, sondern weltweit hatte der französische MedizinprodukteherstellerPoly-Implant-Prothese“ (PIP) beginnend mit dem Jahr 2001 Brustimplantate hergestellt und vertrieben. Der im Jahr 2019 verstorbenen Gründer der Gesellschaft, Jean Claude Mas, hatte die Implantate wissentlich mit nicht für den medizinischen Einsatz zugelassenem Silikon befüllen lassen.

Ein Viertel der Implantate rissen

Wegen Betrugs wurde Mas deshalb in Frankreich zu vier Jahren Haft verurteilt. Aufgeflogen war der Skandal im Jahr 2010, als die Medizinbehörde „Afssaps“ die Implantate des Herstellers wegen der hohen Reißanfälligkeit vom Markt genommen hatte. Ca. ein Viertel aller eingesetzten Implantate zerriss nach der Operation. Die ausgetretene Flüssigkeit verursachte bei den betroffenen Frauen schmerzhafte Entzündungen und machte umfangreiche Operationen und Nachbehandlungen erforderlich. Mehr als 300.000 Frauen weltweit hatten die fehlerhaften Implantate erhalten. Erhöhte Krebsraten wurden allerdings nicht festgestellt.

Haftpflichtversicherung nur für französische Frauen abgeschlossen

Einige der betroffenen Frauen in Deutschland hatten daraufhin vergeblich versucht, die Haftpflichtversicherung der PIP, die „Allianz IARD“ auf Schadenersatz und Schmerzensgeld in Anspruch zu nehmen. Der rechtliche Knackpunkt bei der Beurteilung der Fälle lag in einer Territorialklausel des französischen Unternehmens. Danach war eine Haftung der Versicherung für betroffene Patientinnen außerhalb Frankreichs ausgeschlossen.

EuGH erklärte Territorialklausel für rechtswirksam

In einem der in Deutschland anhängigen Klageverfahren hatte das OLG Frankfurt den EuGH wegen der Frage der Rechtswirksamkeit der Territorialklausel angerufen. Dieser entschied, dass die Territorialklausel das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV nicht verletzt und deutsche Patientinnen hierdurch nicht in europarechtswidriger Weise benachteiligt würden (EuGH, Urteil v. 11.6.2020, C 581/18). Damit war die Territorialklausel wirksam, die Versicherungsgesellschaft nicht schadenersatzpflichtig.

Klage gegen den TÜV-Rheinland als Zertifizierer

Da die „PIP“ bereits im Jahr 2011 pleite war und liquidiert wurde, bestand eine Hoffnung auf Schadenersatz für deutsche Frauen nur noch in Form der Inanspruchnahme des Unternehmens, das die Implantate zertifiziert hatte und das war TÜV Rheinland. Einige Frauen klagten daraufhin gegen den TÜV Rheinland wegen Verletzung seiner Prüf- und Kontrollpflichten.

Deutsche Gerichte verneinten Verantwortlichkeit des TÜV

Die Instanzgerichte und schließlich auch der BGH lehnten eine Verantwortlichkeit des TÜV Rheinland ab. Der TÜV selbst sei von der französischen Firma getäuscht worden. Der TÜV habe die von „PIP“ vorgelegten Unterlagen sorgfältig geprüft und keine Beanstandungen gehabt. Das Unternehmen selbst habe dann bei der Produktion der Implantate anderes Material als das in den Prüfunterlagen angegebene verwendet. Dies hätte der TÜV Rheinland nur durch unangemeldete Kontrollen des Herstellungsprozesses feststellen können. Zu solchen Kontrollen war der TÜV nach übereinstimmender Auffassung der deutschen Gerichte allerdings nicht verpflichtet (OLG Karlsruhe, Urteil v. 27.6.2018, 7 U 96/17; BGH, Urteil v. 20.6.2017, VII ZR 36/14).

Pariser Berufungsgericht bewertet Verhalten des TÜV als fahrlässig

Nun hat das Pariser Berufungsgericht anders entschieden, der TÜV Rheinland habe fahrlässig gehandelt. Über die Höhe der Schadensersatzansprüche der Frauen hat das Gericht noch nicht entschieden. Dies soll bis September diesen Jahres geschehen. Nach Angaben des Opferverbandes „PIPA“ machen die Klägerinnen jeweils mehrere 10.000 Euro Schadensersatzforderungen geltend. In einem ähnlichen Verfahren hatte das Berufungsgericht Aix-en-Provence den TÜV zur Zahlung in Höhe von je 3.000 Euro an die dort rund 20.000 Klägerinnen verurteilt.

Ca. 17.000 Frauen vom Pariser Urteil betroffen

Das Pariser Urteil betrifft unmittelbar 17.000 Frauen. Das Pariser Gericht hat allerdings nicht allen Klagen stattgegeben. Abgewiesen wurden die Klagen der Frauen, bei denen die Implantationen bereits vor September 2006 vorgenommen haben. Einige der betroffenen Frauen konnten auch nicht nachweisen, dass es sich bei ihren Implantaten um solche des französischen Herstellers „PIP“ gehandelt hat.

Der TÜV Rheinland selbst hat sich noch nicht positioniert

Die Prozessvertreterin des TÜV Rheinland, die Anwältin Christelle Coslin erklärte, das Urteil widerspreche der Entscheidung des EuGH vom Februar 2017. Der EuGH habe klargestellt, der TÜV sei nicht verpflichtet und möglicherweise nicht einmal berechtigt, unangekündigte Inspektionen bei den von ihm geprüften Unternehmen durchzuführen. Der TÜV selbst hat sich noch nicht geäußert. Ob der TÜV Rheinland nun möglicherweise seinerseits den EuGH anruft, bleibt abzuwarten.

Französische Rechtsprechung nicht einheitlich

Der Opferverband „PIPA“ hält eine weitere Sammelklage auch nicht französischer Frauen noch für möglich, weist allerdings darauf hin, dass im Hinblick auf eine drohende Verjährung von Ansprüchen nicht mehr viel Zeit bleibe. Auch in Frankreich ist der Ausgang einer solchen Klage aber keinesfalls sicher. Anfang dieses Jahres hat das Berufungsgericht Versailles die Schadensersatzklagen mehrerer Tausend betroffener Frauen wegen mangelnder Verantwortlichkeit des TÜV Rheinland abgewiesen.

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