Elektronischer Rechtsverkehr: Auch die Justiz wird entstaubt

Mit dem eJustice-Gesetz wurden die Rechtsanwaltschaft und die Behörden zur Vorleistung gezwungen. Jetzt muss auch die Justiz liefern. Der elektronische Rechtsverkehr macht nur Sinn, wenn hinter dem elektronischen Posteingang des Gerichts kein Drucker steht.

Und tatsächlich bewegt sich etwas in der Justiz in Sachen Digitalisierung.

Bundesweit werden eJustice-Reformen angestoßen

Nicht nur junge Richterinnen und Richter verlangen nach einem zeitgemäßen Arbeitsplatz. Die Pandemielage hat gezeigt, dass Homeoffice gerade im nicht-richterlichen Bereich nur sachgerecht mit digitalen Akten umgesetzt werden kann. Die noch vor Kurzem beachtlich ausgeprägten Beharrungskräfte in den Dienstzimmern der Gerichte verschwinden mehr und mehr.

Auch bundesweit werden Reformen angestoßen. Einen Leuchtturm bildet hier derzeit die Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses im Auftrag der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts, des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Bundesgerichtshofs vorangetrieben. Deren bisherige Arbeitsergebnisse wurden von der 91. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 26./27.11.2020 aufgegriffen und begrüßt. Vorrangig weiterverfolgt werden sollen hier vor allem sog. „Schnellboote“, d.h. vergleichsweise leicht umsetzbare Modernisierungsprojekte.  Dies sind insbesondere die Erleichterung des digitalen Zugangs zur Justiz für Bürgerinnen und Bürger, die Einrichtung virtueller Rechtsantragstellen, die Einführung eines effizienten Online-Verfahrens in Streitigkeiten, die standardisierbare, regelmäßig auftretende Ansprüche von Verbrauchern gegenüber Unternehmen zum Gegenstand haben (sog. Massenverfahren), die weitere Digitalisierung des Mahnverfahrens, eine Ausweitung der Möglichkeiten online geführter Verhandlungen und die Reform des elektronischen Empfangsbekenntnisses.

Die Wissenschaft greift nach noch entfernteren – eventuell visionären, möglicherweise unrealistischen – Zielen, allen voran dem sog. Basisdokument. Die hiermit verfolgte Strukturierung des Parteiprozesses ist sicher ein wünschenswertes Ziel aus der Perspektive der Justiz, sieht sich aber erheblicher Gegenwehr gegenüber. Gleiches galt aber auch für das eJustice-Gesetz – und dessen Ziele sind ab nächstem Monat vollständig umgesetzt.

Die Besonderheiten des Verwaltungsverfahrens

Die Entwicklung des elektronischen Rechtsverkehrs im Verwaltungsverfahren verläuft unglücklicherweise leider weiter völlig losgelöst von der Justizkommunikation. Dessen Rechtsgrundlagen in § 3a VwVfG bzw. § 36a SGB I sind weiter unangetastet.

Die Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs erfolgt für das Verwaltungsverfahren nicht einheitlich durch Gesetz, sondern in Form der – ausdrücklichen oder konkludenten – Widmung eines elektronischen Postfachs durch die Behörde. Die Kommunikationswege sind nicht durch einen gesetzlichen Katalog beschränkt – in Betracht kommt daher insbesondere auch der elektronische Rechtsverkehr per E-Mail, theoretische sogar über Messenger-Dienste sozialer Medien.

Anders als die Justizkommunikation kennt das Verwaltungsverfahren aber nicht die privilegierten sicheren Übermittlungswege. Deshalb müssen gem. § 3a Abs. 2 VwVfG oder § 36a Abs. 2 SGB I formbedürftige Schriftsätze an Behörden – bspw. die Einlegung eines Widerspruchs – auch dann mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden, wenn das beA genutzt wird. Gleiches gilt auf dem Rückweg für die Behörde – bspw. für den elektronischen Widerspruchsbescheid, Zusicherungen oder den Abschluss öffentlich-rechtlicher Verträge.

Fazit zu „eJustice“:

„eJustice“ bedeutet – im Idealfall – ein vollständiges organisatorisches Umdenken an den juristischen Arbeitsplätzen. Prozessuale Rechtsfragen müssen neu gedacht werden. Die Justizkommunikation wechselt nicht nur das Medium, sondern den Blickwinkel. Sie kommt in der Gegenwart an und wird fit für die Zukunft. Selbst die Abschaltung des Telefaxes in deutschen Amtsstuben wird bereits geplant – ein aus Sicht des 20. Jahrhunderts fast blasphemischer Gedanke.

Fatal wäre es nun, rechtliche oder tatsächliche Probleme des elektronischen Rechtsverkehrs oder elektronischer Akten anhand rechtlicher Maßstäbe oder organisatorischer Muster des vergangenen Jahrhunderts zu prüfen. Wünschenswert ist deshalb, dass zukünftige Bewerber um das Richteramt ein grundlegendes technisches Verständnis aufweisen können. Entsprechend neue Studieninhalte sind daher verpflichtend, nicht nur in Schwerpunktbereichen des Studiums erforderlich. Nicht notwendig sind aber sicher auch weiterhin der Erwerb einer technischen Qualifikation oder gar, dass Informatikbasiswissen Pflichtstoff im Jurastudium wird. Jedenfalls im Sinne neuer, ausgebauter Schwerpunktbereiche ist aber selbst dies nicht abwegig, dürfte hier doch nicht nur ein Zukunftsmarkt liegen, sondern in einigen juristischen Betätigungsfelder bereits die Gegenwart.

Nüchtern betrachtet, lassen sich aber die wenigen technischen Grundlagen gerade des elektronischen Rechtsverkehrs schnell vermitteln und leicht erlernen. Für jede Juristin und jeden Juristen sollte es selbstverständlich sein, sich auch diesen Aspekt seiner Tätigkeit zu erschließen, um nicht planlos Umwege zu suchen, die es erlauben, eine Beschäftigung mit den neuen Formvorschriften entbehrlich zu machen. Es ist ja gerade eine Fähigkeit der Juristinnen und Juristen, sich auch mit tatsächlichen Begebenheiten zu beschäftigen, deren vertieftes Verständnis anderen Wissenschaften vorbehalten ist.