II. Die zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten Berufungen der Beklagten zu 1) und zu 2) haben in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht ist im Ergebnis zu Recht von einer vollständigen Haftung der Beklagten gegenüber der Klägerin für den streitgegenständlichen Bahnunfall ausgegangen.

Die Beklagten haften unstreitig als Gesamtschuldner für die von der Klägerin beim Betrieb der Schienenbahn erlittenen Verletzungen, §§ 1, 6 HaftPflG, § 2 AEG. Die Haftung der Beklagten ist nicht wegen höherer Gewalt gemäß § 1 Abs. 2 HaftPflG ausgeschlossen. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts unter I. und II. wird insoweit Bezug genommen.

Auf ein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG kann sich keine Partei berufen. Auch insofern wird hinsichtlich der beiden Beklagten auf die vorgenannten Ausführungen des Landgerichts unter II. Bezug genommen. Auch der Klägerin ist der Nachweis, dass sie sich wie ein "Idealfahrer" verhalten habe, nicht gelungen. Der Begriff "unabwendbares Ereignis" i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG meint dabei ein schadenstiftendes Ereignis, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus (BGH, Urt. v. 18.1.2005 – VI ZR 115/04, Rn 15 m.w.N., juris). Der Sorgfaltsmaßstab für die Unabwendbarkeit i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG orientiert sich an den Verkehrsanforderungen, die an einen Idealfahrer gestellt werden, der vorausschauend und aufmerksam alle möglichen Gefahrenmomente berücksichtigt. Die Klägerin hat dabei an den konkreten Unfallhergang keine Erinnerungen mehr, so dass konkrete Feststellungen hinsichtlich Sichtbarkeiten und Erkennbarkeiten für einen Nachweis der Unabwendbarkeit nicht erfolgen können. Ein Idealfahrer hätte die herannahende … bahn unter Aufwendung höchster Sorgfalt und Aufmerksamkeit wahrscheinlich noch rechtzeitig erkennen können, denn er ist argwöhnischer als der Durchschnittsfahrer und achtet daher sorgfältiger auf Anzeichen für unrichtiges oder ungeschicktes Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer (vgl. BGH, a.a.O.).

Im vorliegenden Fall tritt aber die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs hinter der erheblich gesteigerten Betriebsgefahr der Beklagten hinsichtlich des Bahnübergangs und dem Organisationsverschulden der Beklagten zu 2), das sich die Beklagten zu 1) im Verhältnis zur Klägerin zurechnen lassen muss, zurück, so dass sich eine Haftungsquote von 100:0 zu Lasten der Beklagten, die ein Verschulden der Klägerin nicht beweisen konnten, ergibt.

Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Die Beklagten haften im Verhältnis zur Klägerin für den streitigen Unfall vom 2.8.2019 am Bahnübergang R.-E. zu 100 %. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, hängt die Verpflichtung zum Ersatz und der Umfang des zu leistenden Ersatzes im Verhältnis der Beteiligten zueinander, wenn bei einem Unfall mehrere Fahrzeuge beteiligt sind, von denen eines eine Eisenbahn ist, gemäß § 17 Abs. 1 StVG davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist, wobei die Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG, die derjenigen aus §§ 4, 13 HaftPflG vorgeht, vorzunehmen ist (OLG Hamm, Urt. v. 11.6.2015 – I-6 U 145/14 –, Rn 32 juris). Nachdem für die Beteiligten vorliegend die Haftung aus Betriebsgefahr grundsätzlich gegeben ist, war im Rahmen der Haftungsabwägung nach § 17 Abs. 2 StVG zu prüfen, inwieweit die jeweilige Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge bzw. Eisenbahneinrichtungen aufgrund besonderer Umstände erhöht ist. Berücksichtigt werden können dabei nur solche Umstände, die unstreitig oder bewiesen sind und sich konkret ausgewirkt haben. Jede Partei muss die Umstände beweisen, die zu Lasten der anderen Seite berücksichtigt werden sollen (vgl. BGH, Urt. v. 27.6.2000, VI ZR 126/99, Rn 23, juris; vgl. BGH, Urt. v. 13.2.1996, VI ZR 126/95, Rn 11, juris).

a) Ein Verschulden der Klägerin, insbesondere einen Verstoß der Klägerin gegen den Vorrang des Schienenverkehrs gemäß § 19 Abs. 1, 2 StVO haben die Beklagten, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht bewiesen.

Nach § 19 Abs. 1 S. 2 StVO darf sich der Straßenverkehr den in § 19 Abs. 1 S. 1 StVO genannten Übergängen nur mit mäßiger Geschwindigkeit nähern. Mäßig ist eine Geschwindigkeit nur dann, wenn der Verkehrsteilnehmer anhalten kann, ohne dass eine Gefahrenbremsung notwendig wird. Zu berücksichtigen sind immer die örtlichen Gegebenheiten sowie die tatsächlichen Verhältnisse. Ist die Geschwindigkeit nicht durch Verkehrszeichen beschränkt, ist der Kraftfahrer nur dann zur Einhaltung einer unter 50 km/h liegenden Geschwindigkeit verpflichtet, wenn besondere Umstände dazu Anlass bieten. Sonst sind die Pflichten des Straßenbenutzers verschieden, je nachdem, ob der Bahnübergang durch Schranken oder Lichtzeichen gesichert oder ungesichert ist, jedoch besteht in allen Fällen Vorrang des Schienenverkehrs (Hühnermann in: Burmann...

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