1 Leitsatz
Der Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG kann widerrufen werden, solange die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung noch anfechtbar oder noch nach § 164 AO änderbar ist. § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG i. d. F. des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 regelt den Widerruf nicht.
2 Das Problem
Im Streitfall hatte die Klägerin, eine GmbH, mit notariell beurkundetem Vertrag vom 18.5.2009 von einer anderen GmbH (Veräußerin) ein Grundstück erworben, auf dem ein sanierungsbedürftiges Gebäude stand. Die Veräußerin verzichtete im gleichen Vertrag auf die Steuerbefreiung für Grundstückslieferungen (§ 9 Abs. 1 UStG). Die Klägerin beabsichtigte, das Objekt zu sanieren und steuerpflichtig weiterzuverkaufen. Mit notariellem Kaufvertrag vom 1.11.2011 veräußerte sie jedoch eine Teilfläche des Grundstücks mit dem nicht sanierten Gebäude ohne Verzicht auf die Steuerbefreiung.
Mit einem weiteren Vertrag vom 21.4.2012 vereinbarten die Klägerin und die Veräußerin die Rückgängigmachung des im Kaufvertrag vom 18.5.2009 erklärten Verzichts auf die Steuerbefreiung. Das Finanzamt hielt die Rückgängigmachung des Verzichts für nicht wirksam und nahm im Änderungsbescheid vom 1.9.2015 für das Jahr 2011 eine Korrektur des im Jahr 2009 vorgenommenen Vorsteuerabzugs nach § 15a Abs. 2 UStG vor. Mit gleichem Datum wurde auch der Vorbehalt der Nachprüfung im Bescheid für das Jahr 2009 aufgehoben.
Nach Meinung des Finanzamts könne sowohl der Verzicht auf die Steuerbefreiung wie auch die Rückgängigmachung des Verzichts nur in dem der Grundstückslieferung zugrunde liegenden notariellen Vertrag erklärt werden. Die dagegen gerichtete Klage war erfolgreich.
3 Die Entscheidung
Auf die Revision des Finanzamts entschied der BFH, dass die von der Verwaltung vertretene Meinung zur zeitlichen Grenze für die Erklärung des Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung einer Grundstückslieferung (sog. Option zur Steuerpflicht) nur für den Verzicht, nicht aber für den Widerruf des Verzichts auf die Steuerbefreiung gelte. Der Widerruf könne erfolgen, solange die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung (hier 2009) anfechtbar oder aufgrund eines Vorbehalts der Nachprüfung gem. § 164 AO noch änderbar ist.
Zugleich verwirft der BFH die von der Verwaltung vertretene Ansicht, dass auch die Rücknahme des Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung nur in dem der Grundstückslieferung zugrunde liegenden notariellen Vertrag erklärt werden müsse. Denn eine zeitgleiche Ausübung des Verzichts auf die Steuerbefreiung und dessen Widerruf würde den Widerruf faktisch ausschließen. Auch der Zweck der Vorschrift des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG (Schutz des Leistungsempfängers vor einem nachträglichen Verzicht des leistenden Unternehmers, der zu einer nachträglichen Steuerschuld des Leistungsempfängers nach § 13b UStG führen würde) steht dem nicht entgegen, denn der Widerruf der Option führt zu einer Steuerbefreiung und somit nicht zu einer Belastung des Leistungsempfängers. Es seien auch keine Steuerausfälle zu befürchten, da nicht nur die Steuerlast beim Leistungsempfänger entfalle, sondern gleichzeitig auch sein Recht zum entsprechenden Vorsteuerabzug.
4 Entscheidung
BFH, Urteil v. 2.7.2021, XI R 22/19