Rz. 643

Tendenzbetriebe stellen besondere Anforderungen an die Loyalität und die Lebensführung ihrer Arbeitnehmer. Tendenzbetriebe sind Betriebe von Trägern, die unmittelbar oder überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen.

Die persönliche Eignung des Tendenzträgers setzt voraus, dass in seiner Person liegende Eigenschaften den Tendenzzweck nicht infrage stellen. Tendenzträger können etwa im kirchlichen Bereich Kindergartenleiter, Lehrer und Ärzte sein. Allgemein sind Tendenzträger nur solche Arbeitnehmer, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Tendenzverwirklichung nehmen können, wie etwa Redakteure im journalistischen Bereich.

 

Rz. 644

Besondere Loyalitätspflichten verlangen Arbeitgeber insbesondere in Arbeitsverhältnissen im kirchlichen Bereich. Bei dem Abschluss von Arbeitsverträgen werden kirchliche Institutionen nicht nur als Arbeitgeber tätig, sondern machen zugleich von der institutionellen Garantie Gebrauch, dass die Kirche ihre Angelegenheiten nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes ordnet und verwaltet. So kann nach bislang h. M. etwa nach den Vorstellungen der katholischen Kirche die Wiederheirat eines geschiedenen Arbeitnehmers eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen.[1] Denn für die Kirchen kann ihre Glaubwürdigkeit davon abhängen, dass ihre Mitglieder, die in ein Arbeitsverhältnis zu ihnen treten, die kirchliche Ordnung auch in ihrer Lebensführung respektieren.[2] Insoweit hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung allerdings weiterentwickelt.

 

Beispiel

Die Eignung des Tendenzträgers kann z. B. entfallen bei Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis,[3] dem Kirchenaustritt, der Tätigkeit für eine andere Glaubensgemeinschaft[4] und der Nichtbeachtung ethischer Grundsätze, z. B. bei der Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch.[5] Gleichermaßen kann der Kirche die Weiterbeschäftigung einer Arbeitnehmerin als Gemeindereferentin unmöglich sein, nachdem dieser ihre kanonische Beauftragung entzogen wurde.[6]

 

Rz. 645

Nach bislang h. M. musste sich ein kirchlicher Arbeitgeber beim Ausspruch einer personenbedingten Kündigung, weil die Eignung des Tendenzträgers weggefallen sein soll, lediglich an seine eigenen Vorgaben, wie etwa Dienstanweisungen, halten.[7] Bei der gerichtlichen Beurteilung der Loyalitätsanforderungen waren dann, soweit die Verfassung das kirchliche Selbstbestimmungsrecht anerkennt, die kirchlichen Maßstäbe zugrunde zu legen. Somit waren die Arbeitsgerichte darauf beschränkt zu prüfen, ob sich der kirchliche Arbeitgeber an seine eigenen Vorgaben gehalten und nicht unverhältnismäßig gehandelt hatte.

Doch bereits mit der Rechtssache Egenberger[8] hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) diese eingeschränkte gerichtliche Kontrolle vor dem Hintergrund in Frage gestellt, dass die Vorgaben einer Religion als wesentliche berufliche Anforderungen von den Gerichten prüfbar sein müssen. Aufgrund des Vorlageersuchens des BAGs[9] hat der EuGH sodann ausdrücklich bestätigt, dass Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG zu einer gerichtlichen Prüfung dahingehend zwingt, ob sich eine bestimmte Anforderung tatsächlich als notwendig zur Abwendung einer Gefahr für den Verkündigungsauftrag erweist.[10]

Nachfolgend hat dies das BAG in dem zugrundeliegenden Verfahren eines Chefarztes, der nach der Scheidung einer ebenfalls kirchlich geschlossenen Ehe ein zweites Mal standesamtlich geheiratet hatte, ohne dass die erste Ehe kirchenrechtlich für ungültig erklärt worden war, im konkreten Fall verneint.[11] So ist etwa auch der Verbleib in der christlichen Religionsgemeinschaft in Bezug auf die Bedeutung der beruflichen Tätigkeit eines Kochs in einer Kindertagesstätte für die Bekundung des Ethos der Religionsgemeinschaft nicht als wesentlich betrachtet worden, womit dessen Kirchenaustritt keinen Eignungsmangel begründen kann.[12]

Im Übrigen erlaubt das staatliche Recht auch dem kirchlichen Arbeitgeber nicht die Annahme eines absoluten Kündigungsgrundes, womit im Rahmen einer Güter- und Interessenabwägung dem mit dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht konkurrierenden Grundrecht des Arbeitnehmers kündigungsschutzrechtlich Rechnung zu tragen ist.[13]

 

Rz. 646

In allen anderen Fällen außerhalb dieser Besonderheiten der Tendenzbetriebe berühren Eheschließung und Ehescheidung das Arbeitsverhältnis nicht (Art. 6 Abs. 1 GG).

In einem Ehegattenarbeitsverhältnis soll eine personenbedingte Kündigung ausnahmsweise gerechtfertigt sein, wenn ehebedingte Streitigkeiten die Fortführung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich machen oder unzumutbar beeinträchtigen.[14]

 

Rz. 647

Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften dürfen besondere Loyalitätsanforderungen an ihre Arbeitnehmer stellen und etwa Betätigungen für extreme politische Parteien ausschließen.[15]

 

Rz. 648

Eine persönliche Ungeeig...

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