Leitsatz (amtlich)

1. Zwar darf ein Kraftfahrer bei Überfahren eines beschrankten Bahnübergangs grundsätzlich darauf vertrauen, dass kein Zug kommt, wenn die Schranken geöffnet sind. Dies gilt aber nur dann, wenn keine Gegenanzeichen vorliegen, dass ein Zug sich nähert und eine Schließung des Übergangs bevorsteht. Solche Gegenanzeichen sind z.B. Blinklichter oder sonstige Lichtzeichen, die sowohl bei unbeschrankten als auch bei beschrankten Bahnübergängen signalisieren, dass sich ein Zug nähert.

2. Dem Umstand, dass diese Lichtsignale bei beschrankten Bahnübergängen regelmäßig zeitlich kurz vor Senken bzw. Schließen der Schranke einsetzen, kann nicht entnommen werden, dass der Führer eines Kraftfahrzeuges weniger vorwerfbar handelt, wenn er mit seinem Fahrzeug den Übergang zwar nach Einsetzen des Lichtsignals, aber noch vor Senken der Schranke passiert.

 

Normenkette

StVO § 19 Abs. 2 S. 1; EBO § 11 Abs. 15 Nr. 1

 

Verfahrensgang

AG Meiningen (Entscheidung vom 01.03.2010; Aktenzeichen 350 Js 28011/09 - 3 OWi)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten der Betroffenen verworfen.

 

Gründe

I. Der Betroffenen wird vorgeworfen, am 29.05.2009 gegen 16.40 Uhr in der Bahnhofstraße in W als Führerin des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen S unter Verletzung der Wartepflicht einen Bahnübergang überquert zu haben, obwohl rotes Blinklicht gegeben wurde. Wegen dieser Verkehrsordnungswidrigkeit wurde gegen die Betroffene mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle der Thüringer Polizei vom 26.06.2009 eine Regelgeldbuße von 240,- € und ein einmonatiges Regelfahrverbot nach lfd. Nr. 89a.2 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV festgesetzt. Hiergegen erhob die Betroffene form- und fristgerecht Einspruch.

Mit Urteil des Amtsgerichts Meiningen vom 01.03.2010 ist die Betroffene in Übereinstimmung mit dem Bußgeldbescheid verurteilt worden, wobei die Tatrichterin von einem fahrlässig begangenen Verstoß gegen § 19 Abs. 2 Nr. 2 StVO ausgegangen ist. Zum Tathergang und zur Einlassung der Betroffenen ist in den Urteilsgründen Folgendes festgestellt:

"Die Betroffene (...) hielt (...) vor dem blinkenden Andreaskreuz, das vor dem beschrankten Bahnübergang in der Bahnhofstraße steht, an. Hinter ihr hielt ein weiteres Fahrzeug. Eine bis zwei Sekunden später fuhr die Betroffene an, passierte das Andreaskreuz und überfuhr den unmittelbar dahinter liegenden Bahnübergang unter Verstoß gegen die Wartepflicht, obwohl rotes Blinklicht im Andreaskreuz gegeben wurde. Eine Schrankenbewegung fand - bis die Betroffene den Bahnübergang überquert hatte - nicht statt ... Die Betroffene hat sich in der Hauptverhandlung dahingehend eingelassen, dass sie am Tattag (...) vor dem Bahnübergang vor dem Andreaskreuz angehalten habe, da das Blinklicht im Andreaskreuz geleuchtet habe. Sie sei das erste Fahrzeug am Bahnübergang gewesen. Da sie von ihrem Standpunkt vor dem Andreaskreuz aufgrund der Sonnenblendung nicht mehr habe erkennen können, ob das rote Blinklicht im Andreaskreuz noch geblinkt habe, habe sie nach links und rechts gesehen und sei dann, da nichts gekommen sei, über den Bahnübergang gefahren."

Gegen das Urteil hat die Betroffene mit am 02.03.2010 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz ihres Verteidigers Rechtsbeschwerde eingelegt. Diese hat sie nach Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils an ihren Verteidiger am 06.04.2010 am 04.05.2010 begründet. Mit der Begründung trägt sie unter Berufung auf ein Urteil des Amtsgerichts Borna vom 10.03.2008 (2 OWi 501 Js 66518/07) vor, die Amtsrichterin habe die Tat zu Unrecht als einen - nach dem Bußgeldkatalog mit einer Geldbuße von 240,- € und einem einmonatigen Fahrverbot bewehrten - Verstoß gegen § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVO gewertet. Vielmehr liege nur eine Verletzung des § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVO vor, die nach lfd. Nr. 89a.1 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV mit einer Regelgeldbuße von 80,- € geahndet wird. Bei einem - wie hier - mit Vollschranke und Lichtzeichenanlage gesicherten Bahnübergang liege nur dann ein mit der höheren Geldbuße und dem Fahrverbot zu ahndender Verstoß gegen die Wartepflicht vor, wenn sich beim Befahren des Bahnübergangs die Schranke bereits senkte bzw. schloss, was hier nicht der Fall gewesen sei. Die Betroffene beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit ein Fahrverbot angeordnet worden ist und die Herabsetzung des Bußgeldes auf 80,- €.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 08.06.2010 beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II. 1. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte, auch gegen den Schuldspruch gerichtete und damit unbeschränkt erhobene Rechtsbeschwerde ist nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

2. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

a) Die Tatrichterin hat die Betroffene zu Recht wegen eines Verstoßes gegen § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVO verurteilt.

Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 StVO (in der bis 31.08.2009 geltenden Fassung) haben Fahrzeuge vor dem Andreaskreuz zu warte...

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