Rz. 253

Das BVerfG hat mit Urteil v. 5.11.2019 (1 BvL 7/16) einstimmig entschieden, dass § 31a Abs. 1 Satz 1 bis 3 für Fälle des § 31 Abs. 1 mit Art 1 Abs. 1 GG i.V. mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 GG unvereinbar ist, soweit

  • bei erneuter Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 die Leistungsminderung 30 % des maßgebenden Regelbedarfs übersteigt,
  • eine Sanktion nach § 31a Abs. 1 Satz 1 bis 3 auch bei Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte zwingend festzustellen ist und
  • die Dauer der Sanktion nach § 31b Abs. 1 Satz 3 für alle Leistungsminderungen ungeachtet der Erfüllung einer Mitwirkungspflicht oder der Bereitschaft dazu starr 3 Monate beträgt.

Das BVerfG hat dem Gesetzgeber damit eine Neuregelung ohne Frist aufgegeben und zugleich als ab dem 5.11.2019 geltendes Recht vorgegeben, nach welchen Maßgaben in Fällen des § 31 Abs. 1 bis zum Inkrafttreten der Neuregelung die Sanktionsvorschriften des § 31a Abs. 1 Satz 1 bis 3 und § 31b Abs. 1 Satz 3 weiterhin als Übergangsregelung anwendbar waren:

Eine Leistungsminderung nach § 31a Abs. 1 Satz 1 musste bei Pflichtverletzungen nach § 31 Abs. 1 nicht erfolgen, wenn dies im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände eine außergewöhnliche Härte für den Leistungsberechtigten bedeutet hätte. Ausweislich Ziff. 2 Buchst. a des Tenors zum Urteil konnte insbesondere von einer Minderung abgesehen werden, wenn nach Einschätzung der Behörde die Zwecke des Gesetzes nur erreicht werden konnten, indem die Feststellung der Sanktion unterblieb.

Eine Leistungsminderung nach § 31a Abs. 1 Satz 2 und 3 durfte bei wiederholter Pflichtverletzung nicht mit einer Minderung der Leistung für Regelbedarf von mehr als 30 % einhergehen. Auch in diesen Fällen konnte wegen des Vorliegens einer außergewöhnlichen Härte von der Feststellung der Sanktion abgesehen werden.

Eine Leistungsminderung nach § 31b Abs. 1 Satz 3 durfte ab dem Zeitpunkt nicht länger als einen Monat andauern, zu dem die Mitwirkungspflicht erfüllt wurde oder sich der Leistungsberechtigte nachträglich ernsthaft und nachhaltig bereiterklärte, seinen Pflichten nachzukommen.

Die Entscheidung des BVerfG hatte Gesetzeskraft. Das Gericht selbst hat die Normenkontrollvorlage zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 31a Abs. 1 Satz 1, 2, 4 und 5, 31b Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 in Fällen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 (als zulässige Vorlagefragen) um § 31a Abs. 1 Satz 3 und um die Fälle des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 erweitert, weil es sich um eine gleichgelagerte Mitwirkungspflicht handelte und dann die Normen einheitlich beurteilt werden konnten.

Dagegen betraf die Entscheidung des BVerfG nicht die Regelungen in § 31 Abs. 2 und § 32. Auch war eine höhere Belastung von Betroffenen beim Zusammentreffen von anderen Leistungsminderungen mit Sanktionen nicht Gegenstand der Entscheidung.

Das BVerfG hat zudem ausgeführt, dass die Frage nach der Vereinbarkeit der Sanktionsbestimmungen gegenüber erwerbsfähigen Leistungsberechtigten unter 25 Jahren (§§ 31a Abs. 2, 31b Abs. 1 Satz 4) eine eigenständige verfassungsrechtliche Prüfung erforderte, die durch das Ausgangsverfahren nicht veranlasst war. Zu diesen Bestimmungen habe das Verfahren auch keine Fragen aufgeworfen; es fehle die fachgerichtliche Aufarbeitung der Sach- und Rechtslage.

Die Grundsätze des Urteils wurden im Verwaltungsvollzug in Bezug auf Sachverhalte nach § 31 Abs. 2 und den Personenkreis der unter 25-jährigen Leistungsberechtigten übertragen, ebenso auf Meldeversäumnisse nach § 32. Dies trifft jedenfalls auf die Jobcenter der gemeinsamen Einrichtungen nach § 44b zu.

Eine Minderung der Leistungen zu den Kosten für Unterkunft und Heizung blieb möglich, wenn Aufstocker oder Ergänzer Leistungen nach dem SGB II bezogen und eine Sanktion hinzutrat.

In Fällen der Kumulation von Sanktionen aufgrund des § 31 Abs. 1 und des § 32 wurden ebenfalls keine höheren Leistungsminderungen mehr festgestellt als 30 %. Damit konnten Meldeversäumnisse ohne jegliche leistungsrechtliche Folgen bleiben.

 

Rz. 254

Die Vorschriften über die Leistungsminderung wurden durch die Bürgergeld-Gesetzgebung mit Wirkung zum 1.1.2023 an die Rechtsprechung des BVerfG angepasst.

 

Rz. 255-259

(unbesetzt)

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