Rn 5

Art 6 gilt im Prinzip ebenso für das autonome (Begriff oben Art 3 EGBGB Rn 14) wie für das staatsvertragliche IPR, wobei Staatsverträge häufig eigene Regelungen zum op enthalten, die dem Art 6 vorgehen. IÜ muss durch Auslegung des betreffenden Staatsvertrages festgestellt werden, ob die Vertragsstaaten den Rückgriff auf die jeweiligen nationalen Vorbehaltsklauseln zulassen oder diese generell ausschließen wollten (Staud/Blumenwitz Rz 52 f). Auch im letzteren Falle dürfen allerdings die Grundrechte nicht verletzt werden (Raape/Sturm 222).

 

Rn 6

Für die Anerkennung ausl Entscheidungen gilt nicht Art 6, sondern die verfahrensrechtlichen Parallelvorschriften in den §§ 328 I Nr 4 ZPO, § 109 I Nr 4 FamFG, 1059 II Nr 2b iVm 1060 1 ZPO, Art 34 Nr 1 EuGVO, Art 23 Buchst a EuEheVO nF, 27 Nr 1 EuGVÜ und LugÜ, 102 I Nr 2 EuInsVO sowie Art V II UN-Üb über die Anerkennung und Vollstreckung ausl Schiedssprüche. Der anerkennungsrechtliche op umfasst neben materiell-rechtlichen Fragen, deren Beurteilung sich grds an denselben Kriterien wie Art 6 orientiert (BGHZ 140, 397; 118, 330), auch prozessrechtliche Normen, auf deren Grundlage die in Rede stehende Entscheidung zustande gekommen ist (BGH NJW 09, 3306 [BGH 26.08.2009 - XII ZB 169/07] zu Vaterschaftsfeststellung RIW 00, 797; NJW 90, 2201; Z 53, 359; 48, 332; Looschelders Rz 8 f; Staud/Blumenwitz Rz 83; Kegel/Schurig § 16 III 3), ist andererseits aber ggü dem materiell-rechtlichen op des Art 6 insgesamt abgeschwächt (ordre public atténué).

 

Rn 7

Im Zusammenhang mit Art 13 I HZÜ, wonach die Erledigung eines Zustellungsantrags abgelehnt werden kann, wenn der ersuchte Staat sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden, ist gelegentlich auch vom zustellungsrechtlichen op die Rede (Kobl IPRax 06, 35/36). Die Prüfung ist hier noch weiter abgeschwächt (München NJW 89, 3102 [OLG München 09.05.1989 - 9 VA 3/89]): Es soll nicht der gesamte unverzichtbare Teil der eigenen Rechtsordnung, sondern nur deren innerster, politischer Kern geschützt werden (BVerfG NJW 95, 649), ohne dass hierfür bisher eine klare Definition vorläge (Frankf NJW-RR 02, 357 [OLG Brandenburg 25.04.2001 - 9 UF 222/00]). Wegen der Grundrechtsbindung der um Zustellung ersuchten Zentralen Behörde gehören dazu jedenfalls die Grundrechte (Kobl IPRax 06, 35) und das Völkerrecht (BVerfGE 63, 371 f [BVerfG 22.03.1983 - 2 BvR 475/78]). Das mit der Klage verfolgte Ziel darf nicht ›offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstoßen‹ (BVerfGE 91, 343 [BVerfG 07.12.1994 - 1 BvR 1279/94]; 108, 247), was das BVerfG für möglich hält bei missbräuchlicher Inanspruchnahme staatlicher Gerichte, um mit publizistischem Druck und dem Prozessrisiko einen Marktteilnehmer gefügig zu machen (BVerfGE 108, 248 [BVerfG 25.07.2003 - 2 BvR 1198/03], krit Huber FS Jayme [04], Bd I 568) oder bei rechtsmissbräuchlicher class action oder rechtmissbräuchlich existenzgefährdend hohen punitive damages (BVerfG JZ 07, 1046 [BVerfG 24.01.2007 - 2 BvR 1133/04] m krit Anm Stadler). Entsprechendes gilt für den Vorbehalt bei Rechtshilfe für Beweiserhebungen im Ausland nach Art 12 I b HBÜ (Kobl IPRax 06, 37 [OLG Koblenz 27.06.2005 - 12 VA 2/04]).

 

Rn 8

Ggü den Rechten anderer EU-Staaten ist die ordre-public-Klausel ebenso anzuwenden wie ggü Drittstaaten; denn eine allg Parallelität der Rechtspolitik ist innerhalb der EU nicht angestrebt (MüKo/Sonnenberger [5. Aufl] Rz 76; Spickhoff S 90). Allerdings kann sich ggü einem anderen EU-Staat aus der Verletzung europäisch gesetzten Rechts keine ordre-public-Widrigkeit ergeben, weil das Recht ebenso Bestandteil der dortigen Rechtsordnung ist wie der inländischen (vgl EuGH Rs C-38/98 Renault/Maxicar ECLI:EU:C:2000:225 zur Urteilsanerkennung, wo es eine révision au fond zu vermeiden galt). Der op kann dementsprechend nicht als Vehikel genutzt werden, um in mit der Umsetzung in Verzug befindlichen Mitgliedstaaten dem EU-Recht zur Geltung zu verhelfen, das über eigenständige Durchsetzungsmechanismen verfügt (MüKo/Sonnenberger [5. Aufl] Rz 76; Einl IPR Rz 209). Jedoch darf andererseits die Nichtumsetzung europäischen Rechts im Ausland nicht den eigenen (auch europarechtliche Anteile umfassenden, s.u. Rn 10 f) op schwächen, so dass eine Einschränkung des Art 6 ggü anderen Mitgliedstaaten insoweit nicht geboten ist.

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