Gründe

Die Berufung der Klägerin ist begründet. Die Beklagten haften als Tierhalter im begehrten Umfang als Gesamtschuldner für den Schaden der Klägerin (§§ 833, 421 BGB). Der Senat legt bei seiner Entscheidung den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt zugrunde und teilt auch die Auffassung des Erstgerichts, daß Ursache für den Sturz der Klägerin die Angst vor dem Hund der Beklagten war. Auf Ziffer 1) und Ziffer 2) Absätze 1 und 2 der Entscheidungsgründe des Ersturteils wird daher zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Entgegen dem Erstgericht sieht der Senat aber hier eine die Tierhalterhaftung auslösende typische Tiergefahr verwirklicht.

Die Annahme des Erstgerichts, der Hund habe sich natürlich verhalten, ist zweifellos richtig. Die daraus gezogene Folgerung, natürliches Verhalten eines Tieres schließe die Tierhalterhaftung grundsätzlich aus, kann allerdings keinen Bestand haben, denn die Tierhalterhaftung hat gerade ihre Wurzeln in der dem natürlichen Verhalten des Tieres innewohnenden Unberechenbarkeit und der daraus hervorgerufenen Gefährdung der Gesundheit Dritter (vgl. BGH NJW 76, 2131).

Die Frage, die hier zu stellen ist, muß vielmehr lauten, ob der Schaden durch das Tier adäquat-kausal verursacht worden ist, wenn das Tier einen Menschen nicht angreift, der Mensch aber aus Angst vor dem Tier schreckhaft reagiert und dadurch Schaden erleidet. Dies ist dann der Fall, wenn das Ereignis die Möglichkeit eines Erfolgs der eingetretenen Art generell nicht unerheblich erhöht hat, oder anders ausgedrückt, die Möglichkeit des Schadenseintritts nicht so entfernt ist, daß sie nach der Erfahrung des Lebens vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen werden kann (vgl. hierzu Palandt, BGB, 50. Aufl., Vorbem. vor § 249 Rdnr. 58, 59). Dabei ist eine objektive nachträgliche Prognose zu stellen, die alle zur Zeit des Eintritts des Schadens erkennbaren Umstände berücksichtigt (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 50. Aufl., Vorbem. vor § 249 Rdnr. 58 bis 60).

Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist der Sturz der Klägerin und der dadurch eingetretene Schaden als durch den Hund adäquat-kausal verursacht anzusehen.

Die Klägerin sah einen großen schwarzen Schäferhund aus einer Toreinfahrt auf sich zulaufen. Der Hund lief frei. Eine Aufsichtsperson oder ein Hundeführer war nicht in Sicht.

Bei dieser Situation war das schreckhafte Zurückweichen der Klägerin, das zu dem Sturz mit den daraus resultierenden Verletzungen führte, durch den Hund adäquat-kausal verursacht, denn die Angst der Klägerin, die den Hund nicht kannte, war verständlich. Die Angst fußt auf der Lebenserfahrung, daß große freilaufende Hunde Menschen gefährlich werden können und in ihrem Verhalten nicht berechenbar sind, daß also keine Gewähr dafür besteht, unbehelligt und ungefährdet weitergehen zu können.

Da damit die Haftung der Beklagten bereits gemäß § 833 BGB - auch für den Schmerzensgeldanspruch (vgl. BGH NJW 77, 2158) - begründet ist, bedarf die Frage, ob die Verletzung der Klägerin nicht durch Fahrlässigkeit der Hundehalter, die den Hund unbeaufsichtigt auf die Straße laufen ließen, auch von diesen verschuldet ist, keiner weiteren Erörterung.

Die von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzforderungen sind schlüssig vorgetragen und nicht bestritten.

Ein Schmerzensgeld von 15.000,-- DM ist bei Berücksichtigung der Schmerzen durch den Unfall, der Beschwernisse der Operation und ihrer Komplikationen, sowie dem Krankenhausaufenthalt, aber vor allem aufgrund der Tatsache, daß die Klägerin durch den Unfall zum Pflegefall geworden ist, angemessen (§ 847 BGB, § 287 ZPO).

Denn die Klägerin erlitt eine Oberschenkelfraktur links und eine Fraktur der 11. Rippe, mußte deshalb vom 20. August bis 26. September stationär behandelt werden. Der Bruch mußte durch eine Operation versorgt werden, später stellte sich als Unfallfolge noch eine tiefe Beinvenenthrombose ein. Die Klägerin, die vor dem Unfall noch ihren Haushalt zum Teil selbst versorgen, ihr Zimmer herrichten und allein ausgehen konnte, ist jetzt vollständig auf fremde Hilfe angewiesen. Sie kann sich im Haus nur noch mit Hilfe eines dreirädrigen Fahrgestells bewegen und muß außerhalb des Hauses in einem Rollstuhl gefahren werden. Nachvollziehbar ist, daß sie in dem operierten Bein nach wie vor Schmerzen bei Witterungswechsel empfindet.

Unter Berücksichtigung all dieser Beeinträchtigungen, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 18. Januar 1991 noch anhielten, erscheint ein Schmerzensgeld von 15.000,-- DM angemessen, zumal eine Einschränkung des Schmerzensgelds durch ein der Klägerin zumeßbares Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB) nicht ersichtlich ist. Die Angstreaktion der Klägerin ist nicht vorwerfbar.

Der geltend gemachte Aufwand für unfallbedingte Betreuung durch Angehörige ist ebenfalls schadensersatzfähig (§§ 249, 842, 843 Abs. 1, Abs. 4 BGB). Er ist schlüssig vorgetragen und auch nicht bestritten.

Auch der Feststellungsantrag ist zulässig (§ 256 ZPO) und im Hinblick auf die zu erwartenden und k...

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