Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterlassener Hinweis auf Koloskopie bei Darmkrebs-Risikopatienten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es stellt einen groben Behandlungsfehler in Form fehlerhafter therapeutischer Aufklärung dar, wenn bei einem wegen familiärer Vorbelastung als Risikopatienten geltenden Patienten im Rahmen einer Krebsvorsorgeuntersuchung der Hinweis unterbleibt, dass eine Koloskopie nach den entsprechenden Leitlinien dringend empfohlen werde.

2. Eine Sicherheitsaufklärung muss so klar und eindeutig sein, dass ein Patient ein objektives und zutreffendes Bild über etwa drohende Gefahren bei Nichtbefolgen des Hinweises erhält.

3. Der im Rahmen einer Krebsvorsorgeuntersuchung erfolgte Hinweis auf die Notwendigkeit einer Koloskopie zum Ausschluss einer Darmkrebserkrankung ist ebenso wie eine etwaige Ablehnung durch den Patienten dokumentationspflichtig.

4. Ein Schmerzensgeld von 150.000 EUR ist gerechtfertigt, wenn in Folge eines Darmkrebses mit immer wieder neu auftretenden Metastasen in weiteren Organen mehrere schwerwiegende Operationen und Chemotherapien sowie die Entfernung wesentlicher Teile von Darm, Lunge, Leber und Galle notwendig werden, der Patient seine Erwerbsfähigkeit sowie die Fähigkeit verliert, seinen bisherigen Freizeitgestaltungen nachzugehen, und der Patient in ständiger Todesangst leben muss.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 253, 280, 611, 823

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 02.10.2013; Aktenzeichen 32 O 198/10)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 2.10.2013 verkündete Urteil des LG Aachen - 11 O 480/11 - wird zurückgewiesen.

Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das am 2.10.2013 verkündete Urteil des LG Aachen - 11 O 480/13 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 158.270,80 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins aus 103.123,63 EUR seit dem 24.9.2011, aus weiteren 3335,38 EUR seit dem 27.3.2013 und aus weiteren 51.811,79 EUR seit dem 13.3.2014 zu zahlen.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 2.440,69 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 24.9.2011 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen weiteren materiellen und allen noch nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus der ärztlichen Falschberatung vom 11.5.2009 und vom 15.5.2009 entstanden ist oder noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weiter gehende Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden dem Beklagten auferlegt. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 28 % dem Kläger, zu 72 % dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der am 28. xx. 1952 geborene Kläger befand sich seit mehreren Jahren in der ärztlichen Betreuung durch den Beklagten, einen niedergelassenen Internisten und Allgemeinmediziner. Er suchte am 11.5.2009 und am 15.5.2009 die Praxisräume des Beklagten auf, um eine allgemeine Gesundheitsüberprüfung durchführen zu lassen, die - wie in erster Instanz unstreitig geworden ist - auch eine Krebsvorsorge umfasste. Hierzu nahm der Beklagte einen Hämokult- und einen Bluttest vor, eine Sonographie von Nieren und Prostata und eine EKG-Untersuchung. Im Rahmen der familiären Anamnese notierte der Beklagte in seiner Behandlungskarte, dass die Mutter des Klägers an Darmkrebs erkrankt gewesen sei. Der Kläger teilte ferner mit, dass die Mutter daran verstorben sei. Ob im Hinblick auf ein Darmkrebsrisiko über weiterführende Untersuchungsmöglichkeiten (insbesondere über eine Koloskopie) gesprochen wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Der Hämokulttest blieb ebenso wie die weiteren Untersuchungen ohne relevanten Befund.

Am 17.11.2010 unterzog sich der Kläger auf eigene Initiative einer Koloskopie im Universitätsklinikum B. Dabei wurde ein sechs Zentimeter großes Adenokarzinom im Bereich des rektosigmoidalen Übergangs diagnostiziert und im Rahmen eines stationären Aufenthaltes vom 29.11.2010 bis zum 7.12.2010 entfernt. Fünf Lymphknoten waren befallen. Bis zum 10.6.2011 folgten acht Zyklen Chemotherapie. Gleichwohl bildeten sich Metastasen in der Lunge, was einen weiteren stationären Aufenthalt vom 20.7. bis zum 28.7.2011 und eine Unterlappen-Teilresektion sowie eine weitere Lungenoperation mit Krankenhausaufenthalt vom 10.11.2011 bis 13.11.2011 nach sich zog. Wegen Metastasen in der Leber wurde eine Teilresektion der Leber und die Entfernung der Galle im Rahmen eines weiteren stationären Aufenthaltes vo...

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