Entscheidungsstichwort (Thema)

Vollständiger Entzug der elterlichen Sorge

 

Leitsatz (redaktionell)

Die elterliche Sorge kann entzogen werden, wenn das Kindeswohl durch ein einseitig auf eine angenommene Hochbegabung gerichtetes und vollends beratungsresistentes Erziehungsmodell gefährdet wird.

 

Normenkette

BGB § 1666 Abs. 1, § 1666a Abs. 1-2, § 1671 Abs. 3

 

Verfahrensgang

AG Mainz (Beschluss vom 14.09.2006; Aktenzeichen 32 F 357/05)

 

Tenor

1. Die befristete Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des AG - FamG - Mainz vom 14.9.2006 wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.

3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Das betroffene Kind entstammt der - am 10.11.1999 rechtskräftig geschiedenen - Ehe des Antragstellers (geb. 1964; Bankkaufmann) mit der Antragsgegnerin (geb. 1967; Touristik-Betriebswirtin); es verblieb bei der gemeinsamen elterlichen Sorge. L. nahm seinen Aufenthalt im Haushalt der Mutter; die Umgangskontakte zum Vater verliefen zunächst reibungslos. Die Antragsgegnerin ist seit 2001 erneut verheiratet; die Tochter R. wurde in 2003 geboren. Der Antragsteller lebt mit einer neuen Lebenspartnerin zusammen.

Die Auseinandersetzungen der Eltern begannen im Jahr 2004 über die Frage des schulischen Werdegangs des betroffenen Kindes. Auf ausdrücklichen Wunsch der Mutter übersprang L. eine Klasse der Grundschule und wurde in die vierte Klasse versetzt; er zeigte dort - bei durchschnittlichen schulischen Leistungen - deutliche Auffälligkeiten im Sozialverhalten. Nachdem die Klassenlehrerin zunächst eine Hauptschulempfehlung erwogen hatte, wurde schließlich - im Blick auf etwas verbesserte schulische Leistungen - die Empfehlung für die Realschule ausgesprochen; ungeachtet dessen meldete die Antragsgegnerin L. an einer weiterführenden Schule mit Hochbegabtenzweig an. Der Schulleiter des Gymnasiums, die Klassenlehrerin der Grundschule und die weitere Beteiligte zu 3) empfahlen demgegenüber - "zur Aufholung der Defizite" - eine Zurückversetzung des Kindes in die dritte Grundschulklasse; dem schloss sich der Antragsteller an und begehrte eine Entscheidung des FamG. Das AG übertrug dem Vater daraufhin die Entscheidung über den weiteren Schulbesuch (Beschl. v. 4.4.2005 - 32 F 487/04; Bl. 53 ff. der Beiakte); auf die Beschwerde der Mutter hat der Senat - nach Anhörung des betroffenen Kindes und unter dem maßgeblichen Eindruck der zwischenzeitlich geänderten Auffassung der Rektorin der Grundschule - diese Entscheidung aufgehoben und den zugrunde liegenden Antrag des Antragstellers zurückgewiesen (Beschl. v. 17.5.2005 - 11 UF 253/05; Bl. 115 ff. der Beiakte). L. besuchte daraufhin ab Sommer 2005 das F.-Gymnasium in M.

In der Folge kam es zu weiteren familiengerichtlichen Verfahren zwischen den Eltern. Die Antragsgegnerin verfolgte den vollständigen Ausschluss des Umgangsrechts des Antragstellers (AG Mainz - 32 F 152/05); der Antragsteller begehrte, nachdem L. Mitte September 2005 mit Zustimmung der Antragsgegnerin jedenfalls für eine gewisse Zeit in seinen Haushalt gewechselt war, mit dem das vorliegende Verfahren auslösenden Antrag die Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts (Bl. 1 ff. GA); die Antragsgegnerin beantragte daraufhin wiederum die Herausgabe des Kindes (AG Mainz - 32 F 355/05). In der mündlichen Verhandlung vor dem AG am 25.11.2005 kam es zu einer Vereinbarung der Eltern, wonach L. vorläufig bei der Mutter wohnen und vierzehntägliche Besuchskontakte zum Vater bei der weiteren Beteiligten zu 3) stattfinden sollten (Protokoll Bl. 33 GA); das Herausgabe- und das Umgangsverfahren wurden für erledigt erklärt. Der Umgang scheiterte indessen an einer ausgeprägten Verweigerungshaltung des betroffenen Kindes; die Antragsgegnerin behauptete ernsthafte, aber gleichwohl erfolglose Bemühungen (Berichte der weiteren Beteiligten zu 3) v. 15. und 21.12.2005 sowie v. 2.2.2006 - Bl. 45, 46 und 54 GA).

Im F.-Gymnasium zeigte L. bereits in der ersten Woche des fünften Schuljahres massive Verhaltensauffälligkeiten (starke Aggressivität; Fäkalsprache; keine Einordnung in die Klassengemeinschaft; keine Einsicht in Fehlverhalten); nach einer Box-Attacke auf die Klassenlehrerin und deren Bedrohung mit einem zukünftigen Messerangriff wurde L. von der Klassenfahrt am 20.9.2005 ausgeschlossen. Auf das Halbjahreszeugnis vom 27.1.2006 nebst Anlagen (Bl. 58 und 59 GA) wird Bezug genommen.

Bei einem gemeinsamem Gespräch mit den Eltern, gegen das die Antragsgegnerin im Vorfeld mit Nachdruck interveniert hatte (E-mail v. 2.2.2006; Bl. 119 f. GA), lehnte das Lehrerkollegium des F.-Gymnasiums eine weitere Beschulung des betroffenen Kindes ab und regte eine umgehende sonderpädagogische Betreuung - "am besten fernab von elterlichen Einflüssen" - an (Schreiben v. 16.2.2006; Bl. 89 f. GA). Die sog. Disziplinarkonferenz des F.-Gymnasiums am 22.3.2006 sah - durch einstimmigen Beschluss, nach Anhörung der Eltern und Beteiligung des Juge...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge