Leitsatz (amtlich)

Die haftungsrechtlichen Standards sind keine "Optimalstandards". Es kommt daher nicht darauf an, ob eine Möglichkeit der Behandlung in einem "besseren" Krankenhaus bzw. bei einem "besseren" Arzt bestanden hätte. Allerdings kommt ein Behandlungsfehler in Betracht, wenn bei der Behandlung die Grenzen das Fachbereichs, der persönlichen Fähigkeiten oder der zur Verfügung stehenden technisch-apparativen Ausstattung überschritten wird. Entsprechendes gilt, wenn ein Eingriff nur in einem Spezialkrankenhaus erfolgen kann bzw. dort mit deutlich vermindertem Komplikationsrisiko vorgenommen werden kann.

Ändert ein Privatgutachten (hier des MDK) seine Bewertung, indem es nicht mehr einen Behandlungsfehler bejaht, aber die unvollständige Dokumentation rügt, ohne diese jedoch vollständig auszuwerten, bietet es schon deshalb keine belastbare Erkenntnisgrundlage.

Zeigt ein unter Hinzuziehung eines Sachverständigen ausgewerteter Behandlungsverlauf trotz unvollständiger Dokumentation keine Anhaltspunkte für Behandlungsfehler auf, kann aus der zu knappen Niederschrift keine Einstandspflicht hergeleitet werden.

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Urteil vom 20.08.2015; Aktenzeichen 1 O 38/14)

 

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird zurückgewiesen.

Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Koblenz vom 20.8.2015 einstimmig nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 29.3.2016. Die Rücknahme der Berufung wird empfohlen.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen unzureichender medizinischer Versorgung eines Hundebisses.

Die Klägerin wurde am 5.4.2010 von einem Hund in den rechten Unterarm gebissen. Sie stellte sich daraufhin notfallmäßig in dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus in H. vor. Dort erfolgte die Erstversorgung der Wunde und die Klägerin wurde stationär aufgenommen. Es entwickelte sich eine Phlegmone. Am 8.4.2010, 10.4.2010, 11.4.2010, 15.4.2010, 19.4.2010 und 23.4.2010 fanden Revisionsbehandlungen mit Wundtoilette statt. Am 27.4.2013 wurde die Klägerin in die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik in L. verlegt. Dort erfolgte bis zum 26.5.2010 eine stationäre Behandlung, wobei am 29.4.2010 eine weitere Wundtoilette und am 7.5.2010 u.a. eine lokale Rotationslappenplastik und Spalthautdeckung vorgenommen wurden.

Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, bereits die Erstversorgung am 5.4.2010 sei unzureichend erfolgt, da der Eingriff in einem Ambulanzraum stattgefunden habe und die Wunde fest vernäht sowie nicht hinreichend gespült worden sei. Am Folgetag sei verfrüht die Drainage entfernt worden. Die aufgetretene Schmerzsymptomatik habe am 8.4.2010 Anlass geboten, eine Verweisung in ein Kompetenzzentrum vorzunehmen. Dieses Erfordernis habe sich am 10.4.2010 aufgrund der Entwicklung einer Phlegmone und eine Kompartmentsyndroms verdichtet. Die fehlende Überweisung stelle sich als grober Behandlungsfehler dar. Insgesamt erweise sich die Nachbehandlung als fehlerhaft, da keine hinreichende Laborkontrolle auf Keine erfolgt und keine ausreichende Spülung der Wunde vorgenommen worden sei. Angesichts der unzureichenden Dokumentation der Behandlung könne nur von deren Fehlerhaftigkeit ausgegangen werden. Bei rechtzeitiger Verlegung in ein Kompetenzzentrum hätte eine Resektion der Sehnen vermieden werden können und eine bessere Aussicht auf Heilung bestanden. Die Klägerin hat daher ein Schmerzensgeld nach Ermessen des Gerichts in einer Mindesthöhe von 44.000,00 EUR, eine Schmerzensgeldrente in einer Mindesthöhe von 250,00 EUR monatlich, den Ersatz eines Haushaltsführungsschadens in Höhe von 8.508,50 EUR sowie einer künftigen Rentenzahlung wegen des Haushaltsführungsschadens in Höhe von 187,00 EUR monatlich und die Feststellung der weiteren Einstandspflicht der Beklagten für immaterielle und materielle Schäden begehrt.

Hinsichtlich des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf die angefochtene Entscheidung vom 20.8.2015 (Bl. 191 ff. GA) verwiesen.

Das sachverständig beratene LG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Ersteingriff und die gesamte Nachbehandlung bis zur Verlegung der Klägerin in die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik in L. seien standardgerecht erfolgt. Aufgrund der Angaben des Chefarztes der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses, des Zeugen Dr. E., sei davon auszugehen, dass die Wunde "auf Lücke" vernäht worden sei. Daher komme es nicht darauf an, ob die Entfernung der eingebrachten Drainage zu früh erfolgt sei. Eine verspätete Überweisung in die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik in L. liege nicht vor, da eine entsprechende Bissverletzung durchaus im Krankenhaus der Beklagten in H. behandelt werden könne. Zudem fehle es an hinreichenden Anhaltspunkten für das Vorliegen eines Zurechnung...

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