Leitsatz (amtlich)

Führt ein farblich markierter Radweg um eine Lichtzeichenanlage herum, müssen Fußgänger beim Überqueren des Radwegs auf Radfahrer Rücksicht nehmen. Wird der Radweg in einer Rechtskurve an der Lichtzeichenanlage vorbeigeführt, liegt kein Abbiegen im Sinne von § 9 StVO vor.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 823

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 08 O 34/16)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 09. März 2017 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.

1. Der Klageantrag zu 1) gerichtet darauf, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen, ist dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens gerechtfertigt.

2. Der mit dem Klageantrag zu 2) geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz ist dem Grunde nach zu 50 % gerechtfertigt.

3. Es wird festgestellt dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche zukünftigen materiellen Schäden zu 50 % zu ersetzen und zukünftigen immateriellen Schäden zu 50 % zu ersetzen, soweit die immateriellen Schäden zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils nicht absehbar waren und diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen werden oder bereits übergegangen sind.

4. Der Klageantrag zu 4) gerichtet darauf, den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin von der Verpflichtung, an ihre Prozessbevollmächtigten die vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten zu zahlen, freizustellen, ist dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens gerechtfertigt.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen verschiedenster Verletzungen auf Schadensersatz (5.652,94 EUR), Schmerzensgeld (mind. 15.000,00 EUR) und Feststellung zukünftiger Ersatzpflicht im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall in Anspruch.

Am 29.10.2014 gegen 13:00 Uhr ereignete sich zwischen der Klägerin und dem Beklagten im Kreuzungsbereich L-Ring/C-Straße in S ein Verkehrsunfall, bei dem der Beklagte als Radfahrer mit der Klägerin als Fußgängerin zusammenstieß und die Klägerin infolgedessen stürzte und sich Verletzungen zuzog. Der Fußgängerverkehr ist im Kreuzungsbereich durch Lichtzeichenanlagen geregelt. Sowohl neben der C-Straße als auch neben dem L-Ring verläuft ein teilweise durch Pflasterung farblich abgehobener Radweg. Auf die zur Akte gereichten Lichtbilder und Ausdrucke (Bl. 62-64; 96-98) sowie die in der Beiakte befindlichen Lichtbilder und Skizzen (Bl. 4 und 6 d. BA.) wird Bezug genommen.

Am Unfalltag war es regnerisch. Der genaue Unfallhergang ist zwischen den Parteien streitig.

Die Klägerin hat behauptet, sie habe von der Innenstadt kommend bei Grünlicht den Kreuzungsbereich überquert und sei sodann links auf den Bahnhofsvorplatz in Richtung des Parkplatzgeländes abgebogen, um zu ihrem dort geparkten Fahrzeug zu gelangen. Sie habe bereits einige Meter auf dem Bahnhofsvorplatz zurückgelegt, als sich plötzlich der Beklagte verbotswidrig nicht auf dem Radweg fahrend und aus Richtung der Bahnhofsunterführung kommend genähert habe. Dabei sei er mit nicht an die ungünstigen Witterungsverhältnisse und die starke Frequentierung des Bahnhofsvorplatzes angepasster und demnach zu hoher Geschwindigkeit gefahren. Anderenfalls wäre es ihm möglich gewesen, noch rechtzeitig anzuhalten oder auszuweichen.

Der Beklagte hat behauptet, die Klägerin sei vom Bahnhofsvorplatz kommend in Richtung Innenstadt auf die Ampelanlage im Kreuzungsbereich zugegangen. Dabei habe sie weder auf den Radweg noch auf die diesen befahrenden Radfahrer geachtet und sei ihm deshalb in das Fahrrad hineingelaufen. Obwohl er vorschriftsmäßig den Radweg benutzt habe und wegen dessen rechtskurvigen Verlaufes zudem relativ langsam gefahren sei, habe er den Zusammenstoß auf dem Radweg nicht mehr verhindern können. Selbst nach dem von der Klägerin behaupteten Geschehensablauf hätte diese aber den Radweg queren, mithin auf Radfahrer achten und damit auch den dann von rechts kommenden Beklagten wahrnehmen müssen.

Das Landgericht hat der Klage nach der Vernehmung von Zeugen vorerst in einem Grund- und Teilurteil stattgegeben und den Beklagten zur Zahlung eines der Höhe nach noch festzustellenden Schadensersatzes und eines angemessenen Schmerzensgeldes verurteilt sowie die Haftung des Beklagten für sämtliche zukünftigen materiellen und noch nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus Anlass des Unfallgeschehens vom 29.10.2014 festgestellt. Der Beklagte habe die Klägerin bei dem Zusammenstoß, infolge dessen die Klägerin stürzte, in rechtswidriger und schuldhafter Weise an ihrer Gesundheit geschädigt. Dabei könne dahinstehen, ob die Lichtzeichenanlage auch für den Radverkehr auf dem Radweg und damit für den Beklagten galt, da er jedenfalls gegen § 9 Abs. 3 S. 3 StVO verstoßen habe. Der Beklagte habe zunächst entgegen der Behaup...

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