Leitsatz (amtlich)
1. Das Interesse des durch eine heterologe Insemination gezeugten Kindes, seine genetische Abstammung zu erfahren, kann im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung höher zu bewerten sein als die Interessen des beklagten Arztes und der Samenspender an einer Geheimhaltung der Spenderdaten. In diesem Fall kann das Kind vom behandelnden Arzt Auskunft über seine genetische Abstammung verlangen.
2. Eine Einigung zwischen den Eltern und dem behandelnden Arzt, die Anonymität des Samenspenders zu wahren, stellt im Verhältnis zu dem ungeborenen Kind einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter dar.
3. Die Auskunftserteilung ist dem beklagten Arzt erst dann unmöglich, wenn er die benötigten Informationen auch nach einer umfassenden Recherche nicht mehr beschaffen kann.
Normenkette
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; BGB § 242
Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 07.02.2012; Aktenzeichen 2 O 260/11) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 7.2.2012 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des LG Essen abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, Auskunft über die genetische Abstammung der Klägerin zu erteilen. Er hat dabei auch Einsicht in vorhandene Unterlagen zu gewähren, aus denen sich die genetische Abstammung der Klägerin ergibt.
Die weiter gehende Klage bleibt abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 1/3 und der Beklagte 2/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen. Das Urteil beschwert die Parteien mit weniger als 20.000 EUR.
Gründe
A. Der Senat nimmt Bezug auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil. Der Sachverhalt stellt sich nunmehr wie folgt dar:
Der Beklagte ist Gesellschafter und Mitbegründer der als GbR geführten Gemeinschaftspraxis O - Zentrum für Reproduktionsmedizin Essen (IVF-Zentrum). Das IVF-Zentrum ist eines der ältesten und größten Institute Deutschlands, das sich auf die Behandlung von Kinderlosigkeit spezialisiert hat, darunter auch mittels einer Fremdsamenspende, der sog. heterologen Insemination.
Im Jahre 1990 schlossen die Eheleute N und X Q einen Behandlungsvertrag mit dem IVF-Zentrum, der eine Behandlung von N Q mittels einer heterologen Insemination vorsah, die in der Folgezeit auch erfolgte. Nach dem Vertrag waren die Eheleute Q nicht berechtigt, Auskunft über die Identität der Samenspender zu verlangen, diese hatten anonym zu bleiben. Diese Anonymität hatte der Beklagte auch den Samenspendern zugesichert.
Die Klägerin wurde am 8.3.1991 als Tochter von N und X Q in C2 geboren. In der Berufungsinstanz ist von den Parteien unstreitig gestellt worden, dass die Klägerin aufgrund einer heterologen Insemination, die ihre Mutter im Juni 1990 im Rahmen der durch das IVF-Zentrum durchgeführten Behandlung erhalten hatte, gezeugt wurde.
Von ihrer Zeugung durch eine Fremdsamenspende will die Klägerin im September 2009 von ihrer Mutter erfahren haben. Sie wandte sich daraufhin an das IVF-Zentrum des Beklagten und erbat Auskünfte zu ihrer künstlichen Zeugung.
Mit Schreiben vom 7.10.2009 (Bl. 36 GA) nahm der Beklagte Stellung und verwies auf nicht erfüllte Voraussetzungen für eine Auskunftserteilung. Mit Email vom 13.10.2009 (Bl. 37-40 GA) und einem gleichlautenden Schreiben wiederholte die Klägerin ihr Auskunftsbegehren, erklärte ihre Bereitschaft, Kosten zu übernehmen und übersandte eine Einwilligung ihrer Eltern. Darüber hinaus suchte die Klägerin mehrfach, zuletzt im März 2010 in Begleitung einer Journalistin, die Praxisräume des IVF-Zentrums auf, ohne die begehrten Auskünfte zu erhalten.
Anfang des Jahres 2011 hat die Klägerin sodann Klage erhoben.
Die Klägerin möchte wissen, wer ihr leiblicher Vater ist. Sie ist der Ansicht, dass der Beklagte Aufbewahrungs- und Auskunftspflichten hinsichtlich der sie betreffenden Behandlungsunterlagen habe. Sie hat bestritten, dass die Behandlungsunterlagen zwischenzeitlich vernichtet worden seien und der Beklagte die Identität ihres Samensspenders oder der für ihre Zeugung in Betracht kommenden Samenspender nicht mehr mitteilen könne.
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, innerhalb einer angemessenen vom Gericht zu bestimmenden Frist Auskunft über die Identität des genetischen Vaters der Klägerin zu erteilen; für den Fall, dass die Auskunft nicht fristgerecht erfolgt: den Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung in Geld zu verurteilen, deren Summe den Betrag von 2000 EUR nicht unterschreiten sollte; festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Kosten der Vaterschaftstests zu übernehmen, die dadurch erforderlich werden, dass der Beklagte mehrere Personen benennt, die als mögliche genetische Väter der Klägerin in Betracht kommen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat zunächst behauptet, die Behandlungsunterlagen, aus denen die Behandlung der Mutter der Klägerin hervorgehe, seien nicht mehr vorhanden. Sämtliche Behandlungsunterlagen aus den Jahren 1990 und 1991 seien nach Ablauf von 10 Jahren, mithin in den Jahren 2000 und...