Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Auslieferung in die Türkei zur Strafverfolgung wegen Totschlags. Beachtlichkeit und Belastbarkeit völkerrechtlicher Zusicherungen. Prüfung der Gefahr einer politischer Verfolgung wegen behaupteter Zugehörigkeit zur YPG. rechtsstaatliches Verfahren. Haftbedingungen

 

Leitsatz (amtlich)

Die Auslieferung einer verfolgten Person an die Republik Türkei zur Strafverfolgung wegen Totschlags ist zulässig, sofern – wie vorliegend der Fall – unter Berücksichtigung eingeholter Auskünfte und Zusicherungen die Gefahr einer politischen Verfolgung, eines rechtsstaatswidrigen Strafverfahrens und einer unmenschlichen Behandlung des Verfolgten in der Haft hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann.

 

Normenkette

EMRK Art. 3, 6; EuAlÜbk Art. 3 Abs. 2; IRG § 6 Abs. 2, §§ 32, 73

 

Tenor

  1. Die Auslieferung des Verfolgten in die Türkei zur Strafverfolgung wegen der ihm in dem Haftbefehl des Amtsgerichts, 2. Strafkammer, zu Afyonkarahisar vom 25.11.2013 (Az.: 2013/708) zur Last gelegten Tat ist zulässig.
  2. Die Fortdauer der Auslieferungshaft wird angeordnet.
 

Gründe

I.

Die türkischen Behörden ersuchen mit dem mit Verbalnote der Botschaft der Republik Türkei vom 16.12.2014 (2014/03481099-Berlin BE/7265654) übermittelten Auslieferungsersuchen der Staatsanwaltschaft Afyonkarahisar vom 12.09.2014 - deren Aktualität mit Interpol-Mitteilung vom 09.11.2020 bestätigt worden ist - um die Auslieferung des Verfolgten in die Türkei zum Zwecke der Strafverfolgung wegen Totschlags und haben ihn über Interpol Ankara durch eine Red Notice zur Festnahme ausgeschrieben.

Das Auslieferungsersuchen ist gestützt auf den Haftbefehl des Amtsgerichts,

2. Strafkammer, zu Afyonkarahisar vom 25.11.2013 (Az.: 2013/708), in dem dem Verfolgten eine Straftat "Vorsätzliche Tötung", begangen am 22.11.2013 in U, zur Last gelegt wird.

Dem Verfolgten wird Folgendes zur Last gelegt:

Der Verfolgte soll am 22.11.2013 gegen 16 Uhr gemeinsam mit einem nicht identifizierten Mittäter das Kraftfahrzeug des X Z mit dem amtlichen Kennzeichen Kz01 auf der Kstraße im Ortsteil S in der Gemeinde T angehalten haben. Beifahrer sei der Zeuge P gewesen. Der Verfolgte und der X Z seien verfeindet gewesen. Der Verfolgte soll sodann den auf dem Fahrersitz befindlichen X Z mit einer Feuerwaffe, die nicht habe sichergestellt werden können, erschossen haben. Der nicht identifizierte Mittäter habe mit einer Pistole in die Luft geschossen. Nach der Tat hätten beide den Tatort in ihrem Fahrzeug verlassen.

Der Verfolgte ist am 05.11.2020 festgenommen worden.

Im Rahmen seiner richterlichen Anhörung am 05.11.2020 hat der Verfolgte im Wesentlichen folgende Angaben gemacht:

Er heiße Q, sei am 01.01.1990 in Qamishli geboren worden und staatenlos. Er sei derzeit ohne Arbeit. Er sei - nach einem vorherigen Aufenthalt in Deutschland - zunächst nach Syrien zurückgekehrt und halte sich seit fünf oder sechs Monaten wieder in Deutschland auf. Er habe in A Asyl beantragt. Er verfüge noch nicht über Arbeitspapiere. Das Auslieferungsersuchen habe einen politischen Hintergrund. Sein Bruder habe in Kobane gegen die Türkei gekämpft und sei dort verletzt worden. Sein anderer Bruder sei im Kampf mit der Türkei gestorben. Seine Frau und seine drei Kinder lebten in Deutschland, weshalb er zurückgekehrt sei. Er habe Angst, dass er aufgrund der politischen Fehde in die Türkei ausgeliefert werde. Er habe niemanden umgebracht, niemanden erschossen. Das sei ein Spiel der türkischen Regierung, weil seine Brüder gegen die Regierung kämpfen. Er wolle mit seiner Frau und seinen Kindern in Deutschland leben und erhebe Einwendungen gegen die Auslieferung.

Mit der vereinfachten Auslieferung hat der Verfolgte sich nicht einverstanden erklärt. Auf den Grundsatz der Spezialität hat der Verfolgte ebenfalls nicht verzichtet.

Die Ausländerbehörde des B Kreises hat mit Schreiben vom 13.11.2020 mitgeteilt, der Verfolgte sei am 18.07.2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und habe am 21.08.2015 die Anerkennung als Asylberechtigter - unter seinem Alias-Namen und der Behauptung er sei staatenloser Palästinenser aus Syrien - beantragt. Ohne persönliche Anhörung sei ihm mit Bescheid vom 12.10.2015 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Nach Einleitung eines Widerrufsverfahrens mit Verfügung vom 17.01.2020 sei mit Bescheid vom 23.03.2020 der Flüchtlingsschutz widerrufen und wegen des vermeintlich syrischen Hintergrundes ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Syrien ausgesprochen worden. Der Bescheid sei am 22.04.2020 rechtskräftig geworden. Der Verfolgte sei seit dem 07.11.2016 unbekannten Aufenthaltes. Ausweislich einer Selbstauskunft sei der Verfolgte verheiratet und habe Kinder; die Familie halte sich anscheinend im Raum N auf.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat mit E-Mail vom 24.11.2020 auf eine entsprechende Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft mitgeteilt, dass bis auf einen "Erkennungsausweis" keinerlei Beweismittel vorgelegt worden seien. Im Erstverfahren...

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