Leitsatz (amtlich)

Zur Aufsichtspflicht der Eltern für einen 6 Jahre und einen Monat alten Jungen, der mit einem Kinderrad den vor dem elterlichen Haus gelegenen öffentlichen Gehsteig befährt

 

Normenkette

BGB §§ 823, 1626, 1631

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 02 O 160/12)

 

Tenor

Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung ist zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich; die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist nicht geboten, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 - 4 ZPO.

 

Gründe

I. Gemäß § 540 Abs. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts anderes ergibt. Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Beklagten hätten ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt und hierzu näher ausgeführt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der diese klageerweiternd Zahlung weitere 250 EUR nebst Zinsen und Feststellung begehrt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihr die zukünftig anlässlich des Unfalls für ihr Kassenmitglied entstehenden Aufwendungen zu ersetzen. Die Beklagten hätten ihrer Aufsichtspflicht nicht genügt. Denn die Beklagte zu 1) habe D nicht ausreichend beobachten können, weil sie nicht ständig im Ladengeschäft gewesen sei. Wenn sie sich im Ladengeschäft aufgehalten habe, sei sie durch die Bedienung von Kunden abgelenkt gewesen. Daher habe sie nicht feststellen können, ob D sich den erteilten Anweisungen entsprechend verhielt. Um ihrer Aufsichtspflicht zu genügen, hätten die Beklagten D regelmäßig in kurzen Zeitabständen kontrollieren müssen. Die Tatsache, dass die Beklagte zu 1) unter der Woche D auf dem Fahrrad auf dem Weg zum Kindergarten begleitet habe, belege zudem, dass dieser sich nicht sicher auf dem Fahrrad habe bewegen können.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern, und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 16.931,16 EUR sowie weitere 250 EUR und vorgerichtliche Kosten i.H.v. 492,54 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 16.931,16 EUR seit dem 17.5.2011, aus 250 EUR seit dem 26.10.2012 und aus 492,54 EUR seit dem 18.5.2012 zu zahlen, festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche zukünftig aus Anlass des Verkehrsunfalls vom 9.5.2009 in H entstehende Aufwendungen für ihr Kassenmitglied C zu ersetzen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

II. Die Berufung der Klägerin bietet offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

Der Klägerin steht der auf sie übergegangene geltendgemachte Anspruch auf Ersatz von Heilbehandlungskosten für ihr Kassenmitglied C nicht zu. Die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage nach § 832 Abs. 1 BGB liegen nicht vor. Denn die Beklagten haben ihrer Aussichtspflicht für ihren Sohn D genügt.

Nach § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB sind die nach §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB aufsichtspflichtigen Eltern zwar verpflichtet, den Schaden zu ersetzen, den ihr Kind einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht besteht jedoch nicht, wenn sie nachweisen, dass sie ihre Aufsichtspflicht erfüllt haben oder der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden wäre.

Nach den gem. § 529 ZPO grundsätzlich bindenden tatsächlichen Feststellungen des LG ist die bei der Klägerin versicherte Frau C durch den Sohn der Beklagten widerrechtlich verletzt worden. Denn dieser ist bei der Ausfahrt von dem Hofgelände mit seinem Fahrrad auf den unmittelbar an den Gehweg angrenzenden Radweg geraten und dort mit der geschädigten Radfahrerin Frau C kollidiert, wodurch diese zu Schaden gekommen ist.

Diese widerrechtliche Schadensverursachung beruht aber nicht auf einer Aufsichtspflichtverletzung der Beklagten.

Das Maß der gebotenen Aufsicht bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie danach, was den Eltern in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann. Entscheidend ist, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Dabei kommt es für die Haftung nach § 832 Abs. 1 BGB stets darauf an, ob der Aufsichtspflicht nach den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falls genügt worden ist. Entscheidend ist daher nicht, ob der Erziehungsberechtigte allgemein seiner Aufsichtspflicht genügt hat, sondern ob dies im konkreten Fall und in Bezug auf die zur widerrechtlichen Schadenszufügung führenden Umstände geschehen ist (vgl. BGH NJW 2009, 1954). Die Aufsichtspflicht wird mithin zum einen durch Eigenschaften des aufsichtsbedürftigen Kindes und zum anderen durch die Schadensgeneigtheit des Unfallbereichs und der danach gegebenen und zu erwartenden konkreten Gefahrensituation bestimmt...

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