Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer Amtspflichtverletzung, Sistierung von Demonstranten, "Hamburger Kessel"

 

Leitsatz (redaktionell)

350 EUR Schmerzensgeld für eine Frau, die sich - an einer Demonstration vorbeigehend - negativ über Polizisten äußert und deswegen "eingekesselt" wird, wobei ihr im Laufe des Tages durch verschiedene polizeiliche Maßnahmen die körperliche Bewegungsfreiheit für mehr als fünf Stunden genommen wird und Handschellen für mehr als drei Stunden angelegt werden.

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 30.06.2006; Aktenzeichen 303 O 669/05)

 

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt die Zahlung eines Schmerzensgelds zum Ausgleich von Beeinträchtigungen ihrer Freiheit und Gesundheit sowie eine Geldentschädigung zum Ausgleich von Beeinträchtigungen ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts wegen Amtspflichtverletzungen im Zusammenhang mit Maßnahmen der Polizei aus Anlass einer Demonstration.

Im Zusammenhang mit einem für Sonnabend, den 21. Dezember 2002 angemeldeten Aufzug verschiedener Veranstalter unter dem Motto "Gegen Rechtspopulismus, Ausgrenzung und Vertreibung, die Regierung stürzen!", der entsprechend einer gerichtlich bestätigten Auflage nicht durch die Innenstadt führen sollte, kam es in Hamburg zu einem polizeilichen Großeinsatz. Am Nachmittag dieses Tages begab sich die Klägerin, die Rechtsanwältin, verheiratet und Mutter zweier damals 12 und 13 Jahre alter Söhne ist, mit ihrem Fahrrad in die Hamburger Innenstadt, um Besorgungen für das bevorstehende Weihnachtsfest zu erledigen. Nachdem sie einige Einkäufe getätigt hatte, stellte sie fest, dass sich insbesondere auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz Menschen in kleineren Gruppen zusammen gefunden hatten, die für Bauwagenbewohner und gegen den damaligen Innensenator Schul sowie gegen den Polizeieinsatz demonstrierten. Entlang dem Gerhart-Hauptmann-Platz und quer über die Mönckebergstraße zogen sich zwei Polizeiketten zusammen. Als sich die Klägerin den Polizeiketten näherte, um herauszufinden, was sich dahinter abspielte, wurde sie von einem der Polizisten durch die Absperrung geschoben. Nachdem sie erläutert hatte, dass sie lediglich Einkäufe getätigt habe, gestattete ihr ein anderer Polizist, den "Kessel" wieder zu verlassen. Als sie sich - bereits außerhalb der Absperrung - noch einmal umdrehte und erklärte, sie fände das Vorgehen der Polizei nicht in Ordnung, packte sie der zuletzt mit ihr befasste Polizist und schob sie in den Bereich der Absperrung zurück. Erneute Versuche der Klägerin, die Polizeikette zu passieren, scheiterten.

Gegen 17.00 Uhr verkündete die Polizei per Lautsprecher, dass die eingekesselten Personen in Gewahrsam genommen seien. Kurz zuvor hatte die Klägerin auf ihrem Handy einen Telefonanruf ihres 12-jährigen Sohnes erhalten, der wissen wollte, wann sie nach Hause komme. Die Klägerin bat um Unterrichtung ihres Ehemannes, der umgehend zurückrief und dem sie ihre Situation schilderte.

Auf ihre Frage nach der besten Möglichkeit, möglichst schnell nach Hause zurückkehren zu können, riet ein Polizeibeamter der Klägerin, dass sie sich freiwillig abführen lassen solle. Daraufhin nahm sie es hin, dass zwei Polizisten sie zu einem in einer Parallelstraße abgestellten HVV-Bus brachten. Dort wies sie sich auf Aufforderung aus, ließ sich fotografieren, leerte ihre Jackentaschen aus und übergab einem Polizisten u.a. ihr Handy, Portemonnaie und Schlüsselbund. Zudem nahm ihr ein Polizist ihren die Weihnachtseinkäufe nebst Quittungen enthaltenden Rucksack ab, durchsuchte und behielt diesen. Anschließend sollten ihre Hände hinter ihrem Rücken gefesselt werden. Als die Klägerin protestierte, wurde ihr die Anwendung körperlicher Gewalt angedroht. Deshalb ließ sie die Fesselung geschehen und setzte sich einer polizeilichen Anordnung entsprechend in eine der letzten Reihen des Busses.

In der folgenden halben Stunde füllte sich das Fahrzeug, bis es schließlich mit ca. dreißig bis vierzig Gefesselten und fünf bis sechs Polizisten voll besetzt war. Daraufhin setzte sich der Bus, begleitet von insgesamt fünf Polizeifahrzeugen mit Blaulicht und zeitweise tönendem Martinshorn, in Bewegung, und zwar zunächst zur Polizeiwache in Wandsbek, in die ein Teil der Gefesselten geführt wurde. Nach einem Aufenthalt von ca. einer halben Stunde fuhr der Bus zur Polizeiwache in Tonndorf weiter. Während der Fahrt teilte die Klägerin einem der Polizisten erneut mit, dass sie lediglich als Unbeteiligte in den Polizeikessel hinein geschoben worden sei. Daraufhin wurde ihr Gelegenheit gegeben, mit ihrem Handy zu Hause anzurufen, ohne dass sie dabei jedoch von ihren Fesseln befreit wurde. Nachdem weitere in Gewahrsam Genommene bei den Polizeiwachen in Rahlstedt und Poppenbüttel abgesetzt worden waren, erreichte der Bus mit der Klägerin gegen 21.20 Uhr die Polizeiwache in Langenhorn. Dort wurden ihr ein Apfel und Mineralwasser gereicht und ihr ermöglicht, Strafanzeige zu erstatten. Anschließend wurde sie, ebenso wie die übrigen in Gewah...

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