Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Tierhalterhaftung bei mittelbarer Verletzung durch ein Tier

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Haftung des Tierhalters kommt auch dann in Betracht, wenn sich ein Mensch durch eine vom Tier herbeigeführte Gefahr für ein anderes Tier zu helfendem Eingreifen veranlasst sieht.

 

Normenkette

BGB § 833

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Urteil vom 18.01.2023; Aktenzeichen 2 O 249/21)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 26.8.2021, 2 O 623/20, abgeändert:

Der Klageantrag zu 1) wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden und nicht vorhersehbare immateriellen Schäden aus dem Unfallgeschehen vom 13.1.2017 auf dem Grundstück der Klägerin zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie die Feststellung der Einstandspflicht für materielle und nicht vorhersehbare immaterielle Schäden wegen eines Vorfalls vom 13.1.2017. Sie macht geltend, wegen eines Verhaltens des Hundes des Beklagten gestürzt zu sein und sich dabei langwierige Verletzungen an Hand- und Kniegelenk zugezogen zu haben.

Wegen des Sachverhaltes im Einzelnen und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat nach Anhörung der Parteien und Vernehmung zweier Zeugen die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, es stehe nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Unfall der Klägerin auf eine spezifische Tiergefahr im Sinne des § 833 BGB zurückzuführen sei. Die Aussagen der Klägerin und des Beklagten seien nicht frei von Belastungs- bzw. Entlastungstendenzen gewesen. Auch wenn man dem Vortrag der Klägerin folge, mangele es jedenfalls an der Kausalität des Hundeverhalten. Es liege hier ein Herausforderungsfall vor, nach dessen Grundsätzen eine Zurechnung entfalle, wenn die selbstschädigende Reaktion vernünftigerweise nicht veranlasst gewesen sei oder die in Kauf genommenen Risiken außer Verhältnis zu der Tiergefahr standen. Vorliegend habe die Klägerin selbst geschildert, dass sie letztlich die Tiere durch lautes Rufen habe auseinanderbringen können. Die Klägerin sei durch die Tiergefahr nicht dazu veranlasst gewesen, sich zu den Tieren zu bewegen. Sie habe durch ihr Einschreiten bewusst das Risiko in Kauf genommen, aufgrund der Bodenglätte zu stürzen.

Gegen das ihr am 2.9.2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 4.10.2021, einem Montag, Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Frist am 2.12.2021 begründet.

Sie verfolgt ihr erstinstanzliches Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

Der Beklagte habe zum tatsächlichen Hergang schon deshalb keine Angaben machen können, weil ihm wegen eines Giebels die Sicht versperrt gewesen sei und er daher das Hinterherjagen seines Hundes hinter der Katze nicht habe erkennen können.

Soweit das erstinstanzliche Gericht davon ausgegangen sei, dass auch bei Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin eine Kausalität nach § 833 BGB nicht bejaht werden könne, verkenne das Gericht, dass ein tierisches Verhalten nicht die einzige Ursache eines Schadensereignisses sein müsse, sondern dass die bloße Mitverursachung genüge. Ein mittelbarer ursächlicher Zusammenhang liege vor, wenn ein Mensch durch das Verhalten eines Tieres in Angst und Schrecken versetzt werde und infolgedessen stürze und sich verletze. Der Zurechnungszusammenhang sei erst dann unterbrochen, wenn die Reaktion des Betroffenen als nicht mehr durch das Gebaren des Tieres verursacht angesehen werden könne, weil sie völlig ungewöhnlich und damit durch das haftungsbegründende Ereignis nicht mehr herausgefordert sei. Dies sei hier nicht der Fall.

Die Klägerin habe glaubhaft und glaubwürdig geschildert, dass sie auf der letzten unteren Treppenstufe gestanden habe, als sie den Hund des Beklagten herbeieilen und mit der Katze kämpfen sah und sodann beim Versuch einzuschreiten erstmals zu Fall gekommen und nach dem Wiederaufstehen durch den agierenden Hund wieder zu Fall gekommen sei. Demgegenüber sei die Schilderung des Beklagten nicht glaubhaft, wonach er trotz behaupteter Schläge der Klägerin auf seinen Hund den Schneeräumvorgang fortgesetzt habe

Die Klägerin beantragt,

1) den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2) festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materielle Schäden und nicht vorhersehbare immaterielle Schäden aus dem Unfallgeschehen vom 13.1.2017 auf dem Grundstück der Klägerin zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung un...

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