Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkehrssicherungspflichtverletzung. Reinigungspflicht in Bahnhofspassagen. Umfang des Anscheinsbeweises bei Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Übertragung der Verkehrssicherungspflicht
Leitsatz (amtlich)
Bei der Bestimmung des Umfanges der Verkehrssicherungspflicht gelten für Geschäftsräume, insbesondere für Kaufhäuser und Supermärkte, die dem Publikumsverkehr offen stehen, strenge Sicherheitsstandards. Die üblichen Anforderungen, die in der Rechtsprechung für Räumlichkeiten und Gebäude, die nach ihrer Bestimmung für den allgemeinen Verkehr geöffnet worden sind, entwickelt wurden, gelten auch für Bahnhofspassagen, in denen ebenso wie in Einkaufspassagen in größeren Einkaufszentren oder "Shopping Malls" der Publikumsverkehr zu dortigen Geschäftslokalen geführt wird bzw. die Laufwege auch so gestaltet sind, dass potentielle Kunden zu den dort angesiedelten Ladenlokalen gelangen können. Hiernach gilt für Böden in Kaufhäusern und Supermärkten und sonstigen dem allgemeinen Publikumsverkehr geöffneten öffentlichen Räumlichkeiten, dass der Belag so auszuwählen und zu unterhalten ist, dass Stand- und Trittsicherheit der Kunden selbst dann noch gewährleistet ist, wenn sie sich auf die in den Regalen ausgestellten Waren konzentrieren
Zur Erfüllung dieser Pflichten hat der Geschäftsinhaber oder anderweitig Verkehrssicherungspflichtige durch Anordnung darauf hinzuwirken, dass die Böden regelmäßig kontrolliert und gereinigt werden und die Befolgung dieser Anordnung auch zu kontrollieren.
Voraussetzung für den Anscheinsbeweis bei behaupteter Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ist die Feststellung einer objektiven Verletzung der durch die Verkehrssicherungspflicht dem Pflichtigen auferlegten Sorgfaltspflichten. Ist der objektive Sorgfaltspflichtverstoß durch Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht festzustellen, so kann der Anscheinsbeweis für die Ursächlichkeit dieser Sorgfaltswidrigkeit für den Schadenserfolg nicht eingreifen. In diesem Zusammenhang erlaubt nicht jede Existenz einer Gefahrenquelle bereits den Rückschluss auf eine objektive Pflichtverletzung nach der allgemeinen Lebenserfahrung. Der Fall, in dem eine grundsätzlich - permanent vorhandene - Gefahrenquelle in Rede steht (wie z.B. Stolperfallen, besonders glatter oder unebener Boden), bei der die Existenz dieser Gefahrenquelle bereits die objektive Verkehrspflichtverletzung belegt, kann nicht mit dem gleichgesetzt werden, in dem die Pflichtverletzung darin liegt, nicht für ein Reinigungs- und Kontrollregime zur Verhinderung/besserer Beseitigung von Verunreinigungen und Verschmutzungen, die zu einer Gefährdung führen können, gesorgt zu haben. Im letzteren Fall kann allein aus der Existenz einer Verschmutzung nicht ein Anscheinsbeweis einer für den Verletzungserfolg ursächlichen Pflichtverletzung begründet werden.
Zu den Sicherungspflichten gehört, dafür zu sorgen, dass sich das Publikum, dem der Pflichtige den Verkehr geöffnet hat, auf sicherem Bodenbelag bewegen kann.
Überträgt der verkehrssicherungspflichtige Betreiber einer Einkaufspassage oder einer Bahnhofspassage durch entsprechende Beauftragung einem Dritten die Durchführung von Reinigungs- und Kontrollmaßnahmen zur Wahrung der Verkehrssicherungspflicht, so ist diese beschränkt auf die Gefahren, die dem Publikumsverkehr durch Verunreinigungen und Verschmutzungen des Bodens der Laufflächen drohen. Nicht umfasst sind von der Übertragung der Verkehrssicherungspflicht die Gefahrenquellen, die aus der räumlichen Gestaltung und den baulichen Gegebenheiten als solches resultieren. Insoweit bleibt die originäre Verkehrssicherungspflicht bei dem Eigentümer und Betreiber der Passagen, soweit nicht durch ausdrückliche Abreden und Vereinbarungen mit dem Dritten auch die Verkehrssicherungspflicht in Bezug auf diese Umstände übertragen wurde.
Normenkette
BGB § 823
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Aktenzeichen 1 O 501/10) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 1.10.2015 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil und das landgerichtliche Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in selber Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages geleistet hat.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A) Die Klägerin macht Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen einer von ihr geltend gemachten Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten im Zusammenhang mit einem von ihr erlittenen Sturz in der Einkaufspassage des D.... Hauptbahnhofs geltend.
Die Beklagte zu 1 ist eine Tochtergesellschaft der D... AG und erbringt unter anderem Dienstleistungen in den Bereichen Verkehr, Stationenreinigung und Verkehrsmittelreinigung....