Leitsatz (amtlich)

1. Gesundheitsbeeinträchtigungen sind jedenfalls dann nicht mehr als offenkundig belanglos anzusehen, wenn sie zu einer längeren Krankschreibung und mehrwöchigen Behandlung mit Physiotherapie führen. Sie sind daher in einem Versicherungsantrag auch dann anzugeben, wenn der Antragsteller sie selbst für geringfügig hält.

2. Fragt der Versicherer nach Beschwerden bzw. Krankheiten der Wirbelsäule, sind Rückenschmerzen auch dann anzugeben, wenn ihnen muskuläre Probleme zugrunde liegen.

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Aktenzeichen 8 O 524/18)

 

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 06.10.2020 wird aufgehoben.

 

Gründe

Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung des Klägers bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Berufsunfähigkeitszusatzversicherungsvertrag des Klägers bei der Beklagten ist gemäß § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an nichtig.

Die Beklagte, die mit Schreiben vom 20.08.2015 (Anl. K3) die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklärt hat (§ 143 Abs. 1 BGB), war hierzu auch gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB, § 22 VVG berechtigt. Der Kläger hat bei Antragstellung am 26.11.2010 offenbarungspflichtige Beschwerden nicht angegeben, nach denen die Beklagte gefragt hatte, und sie hierdurch vorsätzlich und arglistig getäuscht.

Die Möglichkeit der Anfechtung ist dem Versicherer nach § 22 VVG i.V.m. § 123 f. BGB eröffnet, wenn der Versicherungsnehmer seine Offenbarungspflicht arglistig verletzt. Voraussetzung für das Vorliegen von Falschangaben ist, dass der Versicherungsnehmer gefahrerhebliche Umstände kennt, sie dem Versicherer wissentlich verschweigt und dabei billigend in Kauf nimmt, dass der Versicherer sich eine unzutreffende Vorstellung über das Risiko bildet und dadurch in seiner Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrages beeinflusst werden kann (vgl. Senat, Urteil vom 08.09.2015 - 4 U 764/15; Urteil vom 19.05.2016 - 4 U 1524/15). Der künftige Versicherungsnehmer hat die in einem Versicherungsformular gestellten Gesundheitsfragen grundsätzlich erschöpfend zu beantworten (vgl. BGH, Urteil vom 19.03.2003 - IV ZR 67/02). Er darf sich daher bei seiner Antwort weder auf Krankheiten oder Schäden von erheblichem Gewicht beschränken noch sonst eine wertende Auswahl treffen und vermeintlich weniger gewichtige Gesundheitsbeeinträchtigungen verschweigen (so BGH, aaO.). Es sind daher auch solche Beeinträchtigungen anzugeben, die noch keinen Krankheitswert haben, denn die Bewertung der Gesundheitsbeeinträchtigung ist Sache des Versicherers (vgl. BGH, Urteil vom 20.09.2000 - IV ZR 203/9). Diese weit gefasste Pflicht zur Offenbarung findet ihre Grenze nur bei Gesundheitsbeeinträchtigungen, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen (BGH, aaO.). Ob eine bei Antragstellung anzuzeigende Gesundheitsstörung oder eine nicht anzeigepflichtige Befindlichkeitsstörung vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände zu beurteilen (vgl. Voit/Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 2. Aufl., Kap. M Rn. 23). Abzustellen ist auf das Gesamtbild, das die Erkrankungen über den Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers vermittelt.

Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen ihm obliegende Offenbarungspflichten verletzt. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, beantwortete er die unter Ziff. 6 e), h), j) und k) sowie Ziff. 7 und 9 gestellten Fragen objektiv falsch mit "nein". Ohne Erfolg macht die Berufung dagegen geltend, die dargestellten Beschwerden seien nicht angabepflichtig gewesen, da sie nicht vom Gesundheitsfragenkatalog der Beklagten umfasst gewesen seien und im übrigen auch keinen Krankheitswert gehabt hätten.

Die im Januar 2010 mittels Physiotherapie behandelten Beschwerden des rechten Handgelenks fallen unter die Gesundheitsfrage Ziff. 6 e), bei der - unter anderem - nach Beschwerden der Gelenke gefragt wird. Sämtlichen Gesundheitsfragen ist der Hinweis vorangestellt, es sollten "sämtliche Beschwerden und Krankheiten" angegeben werden und die angeführten Beispiele würden "nur der Veranschaulichung" dienen. Zudem wird in unter Ziff. 6 ausdrücklich und allgemein nach "Krankheiten, Störungen und Beschwerden" im Zeitraum von fünf Jahren vor Antragstellung gefragt. Schon aus diesem Grund kommt es nicht darauf an, ob die...

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