Verfahrensgang

LG Stade (Urteil vom 23.06.2021; Aktenzeichen 5 O 254/20)

 

Tenor

I. Der Senat erwägt, die Berufung der Kläger gegen das am 23. Juni 2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

II. Die Kläger erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme und zu einer eventuellen weitere Kosten zum Teil vermeidenden Berufungsrücknahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

 

Gründe

I. Die Rechtsache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Ebenso wenig erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung. Auch im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hier geboten wäre. Die Berufung hat nach derzeitiger Sach- und Rechtslage offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

1. Das Landgericht dürfte zu Recht einen Anspruch der Kläger auf Ersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit gemäß § 651n Abs. 2 BGB abgelehnt haben.

a) Nach § 651n Abs. 2 BGB kann der Reisende, wenn die Pauschalreise vereitelt oder erheblich beeinträchtigt wird, auch wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Der Anspruch besteht neben dem Schadensersatzanspruch aus § 651 Abs. 1 BGB und hat - neben den zusätzlichen haftungsbegründenden Voraussetzungen der Vereitelung oder erheblichen Beeinträchtigungen der Pauschalreise - zunächst dieselben Voraussetzungen wie der Schadenersatzanspruch gemäß § 651n Abs. 1 BGB (BeckOGK/Klingberg, BGB Stand 1. November 2020, § 651n Rn. 39). Mithin kann eine Entschädigung gemäß § 651n Abs. 2 BGB nicht verlangt werden, wenn der Mangel der Reise durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände im Sinne von § 651n Abs. 1 Nr. 3 BGB verursacht wurde.

b) Die Beklagte hat die streitbefangene Kreuzfahrt nicht vereitelt, weil sie gemäß § 651h Abs. 4 Nr. 2 BGB von dem Reisevertrag zurücktreten durfte. Sie war an der Durchführung der Reise aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände an der Durchführung der Kreuzfahrt gehindert.

aa) Gemäß § 651h Abs. 3 BGB sind unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände solche, die nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und deren Folgen auch dann nicht hätten vermieden werden können, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären. Ob ein Ereignis einen solchen Umstand darstellt, ist im Einzelfall zu beurteilen. Der Ausbruch einer schweren Krankheit oder Epidemie am Reiseziel stellt unzweifelhaft ein solches Ereignis dar (vgl. Staudinger/Ruks, DAR 2020, 314 (315)). Dabei ist es nicht zwingend erforderlich, dass zum Zeitpunkt des Rücktritts das Zielgebiet bereits von dem Ausbruch der Krankheit betroffen ist. Es genügt vielmehr eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitsgefährdende Ausbreitung der Krankheit. Maßgeblich ist, ob bei objektiver Betrachtung eine sichere Durchführung der Pauschalreise unmöglich sein wird, der Reisezweck also insgesamt infrage steht. Entsprechendes gilt, wenn eine die Reise prägende Reiseleistung schwere Mängel aufweisen würde, wie beim Ausfallen wichtiger Häfen bei einer Kreuzfahrt oder Highlights einer Rundreise. Bei der Ausbreitung von Krankheiten resultiert die erhebliche Beeinträchtigung aus der Gefährdung der körperlichen Gesundheit des Reisenden. Erst recht gilt dieses für den Ausbruch einer Epidemie am Zielort. Indiziert wird das Vorliegen einer Gesundheitsgefährdung insbesondere durch eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes. Aus dem Fehlen einer Reisewarnung kann allerdings nicht zwingend gefolgert werden, dass eine erhebliche Beeinträchtigung zu verneinen wäre. Dasselbe gilt auch für Warnungen der Weltgesundheitsorganisation. Gerade bei Gesundheitsrisiken dürfen die Anforderungen an die Erheblichkeit nicht zu hoch angesetzt werden. Daher ist die Erheblichkeitsschwelle bereits erreicht, wenn bei der Prognoseentscheidung ex ante unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls mit dem Eintritt des Umstandes mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 % zum Zeitpunkt der Anreise beziehungsweise während der Reise zu rechnen ist (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.2002 - X ZR 147/01, juris Rn. 11 zu § 651i Abs. 1 BGB a.F.).

bb) Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte entgegen der Auffassung der Kläger ausreichend dargelegt, dass sie am 14. Februar 2020 von der Durchführung der Reise zurücktrat, weil die Ausbreitung von Covid 19 die gebuchte Kreuzfahrt maßgeblich zu beeinträchtigen drohte. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass neben China im Januar 2020 auch erste Erkrankungen in Deutschland und am 14. Februar 2020 ca. 64.000 Fälle mit dem neuartigen Coronavirus in 25 Ländern aufgetreten seien. Am 25. Januar 2020 sei auf der Reiseroute in Malaysia der erste Infektionsfall festgestellt worden (S. 4, 8 f. d. Klagerwiderung, Bl. 22 R, 24 R f. d.A.). Die WHO habe am 30. Januar 2020 eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tr...

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