Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwaltssoftware im elektronischen Rechtsverkehr

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Verwendung einer Software für Rechtsanwaltskanzleien, bei der die Gerichtsadressen und Gerichtsdaten hinterlegt sind und die automatisch durch Anklicken der Auswahloption "erste Instanz" bzw. "zweite Instanz" den Empfänger im elektronischen Rechtsverkehr bestimmt, rechtfertigt ohne Weiteres keine Wiedereinsetzung in eine Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, die durch das versehentliche Anklicken der Auswahloption "erste Instanz" eingetreten ist.

2. Erstellt der Rechtsanwalt den fristwahrenden Schriftsatz unter eigener Einfügung der korrekten Adresse des Empfangsgerichts, schließt und authentifiziert er diesen Schriftsatz in elektronischer Form mit seiner qualifizierten elektronischen Signatur, "gibt" er ihn sodann seiner Kanzleimitarbeiterin zum Versand per besonderem elektronischen Anwaltsfach (beA), so entspricht deren manuelle Auswahl "I. Instanz" oder "II. Instanz" im Menü der Anwaltssoftware der Auswahl der Faxnummer zur Versendung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Fax; die Sorgfaltsanforderungen gelten entsprechend.

3. Soll ein von einem Rechtsanwalt qualifiziert elektronisch signierter fristgebundener Schriftsatz von seiner Kanzleimitarbeiterin an ein Gericht versendet werden, ist sie entsprechend der Übertragung per Fax konkret generell oder einzeln (mindestens) dazu anzuweisen, die nach der beA-Versendung erhaltene gerichtliche elektronische Eingangsbestätigung insbesondere auch darauf zu überprüfen, ob diese von demjenigen Gericht stammt, welches der Rechtsanwalt in seinem qualifiziert signierten Schriftsatz selbst ausgewählt hat, indem sie beides miteinander abgleicht.

 

Normenkette

ZPO § 85 Abs. 2, § 130a, § 130a Abs. 3, 5, §§ 233-234, 522 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Braunschweig (Aktenzeichen 6 O 2527/21)

 

Tenor

I. Der Antrag des Klägers vom 8.3.2022 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

II. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 30.12.2021 - 6 O 2527/21 - wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert des Berufungsrechtszuges wird auf 90.700,16 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Der Wiedereinsetzungsantrag ist nicht begründet (A.). Die Berufung ist unzulässig, weil der Kläger sie nicht innerhalb der dafür geltenden gesetzlichen Notfrist begründet hat (B.).

Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist war zurückzuweisen, weil der Kläger die Berufungsbegründung aufgrund eines ihm zuzurechnenden Verschuldens seines Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) nicht binnen der zweimonatigen Frist nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils (§ 520 Abs. 2 Satz 1, 1. Hs. ZPO) bei Gericht eingereicht hat. Demzufolge war die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2, 3 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

A. Im Einzelnen:

I. Das von dem Kläger teilweise - und zwar soweit darin die Beklagte nicht zumindest zur Zahlung von 90.700,16 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.8.2020 verurteilt worden ist - angefochtene Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 30.12.2021 - 6 O 2527/21 - ist dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 4.1.2022 zugestellt worden (Bl. 370 d.A.). Die Berufung hat der Kläger fristgerecht am 2.2.2022 eingelegt. Die Frist für die Einreichung der Berufungsbegründung von zwei Monaten, § 520 ZPO, lief am Freitag, 4.3.2022 ab. Beim Oberlandesgericht Braunschweig ist die Berufungsbegründung des Klägers vom 4.3.2022 erst am 7.3.2022 (Bl. 408ff. d.A.) eingegangen, zuvor - ebenfalls über das besondere elektronische Anwaltsfach (beA) - am 4.3.2022 um 16:59 Uhr lediglich beim Landgericht Braunschweig (Bl. 447ff. d.A.).

Zur Begründung seines anwaltlich versicherten Wiedereinsetzungsgesuchs vom 8.3.2022 (Bl. 438 ff. d.A.) nebst eidesstattlicher Versicherung der Mitarbeiterin H. (Bl. 441 d.A.) hat der Kläger vorgetragen, die Kanzleimitarbeiterinnen seines Prozessbevollmächtigten seien durch generelle Instruktion in der Kanzlei gehalten, die Fristen der ihnen zugeteilten Akten und das zuständige Gericht zu kontrollieren. Es habe die allgemeine Kanzleianweisung bestanden, nach der Übermittlung eines Schriftsatzes über das besondere elektronische Anwaltsfach (beA) anhand des Sendeprotokolls zu prüfen, ob die Übermittlung vollständig sowie an den richtigen Empfänger erfolgt sei, und die Fristen im Fristenkalender erst anschließend zu streichen. Außerdem habe Frau Rechtsanwältin G. am Freitag, den 4.3.2022 um kurz nach 16:00 Uhr nochmals in Textform über das Anwalts Textverarbeitungsprogramm A. die Mitarbeiterin H. angewiesen, den Schriftsatz an das Oberlandesgericht zu senden, nachdem beide wegen der ablaufenden Frist kurz zuvor telefoniert hätten. Bei der Versendung habe die Mitarbeiterin H. am ...

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